Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht
Papiere in eine Schachtel stecken und sie für mich bei Berlyn hinterlassen.«
»Die ist noch nicht da. Sie macht ein paar Besorgungen. Wollen Sie hereinkommen und warten?«
»Ja, danke.« Ich folgte ihr durch das kleine, mit Möbeln vollgestellte Wohnzimmer zum Eßplatz, der sich in einer Ecke der Küche befand. Ein Bügelbrett stand aufgeklappt da, und der Duft frisch gedämpfter Baumwolle weckte Sehnsüchte nach dem Sommer in mir. »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich einen Blick auf Berlyns Schreibtisch werfe? Wenn die Schachtel offen dasteht, kann ich sie doch gleich mitnehmen.«
Trinny griff wieder nach dem Bügeleisen. »Er ist da drinnen.« Sie zeigte auf die Tür, die ins Fernsehzimmer führte.
Eine Ecke des Raumes wurde offenbar als Büro für Kepler-Installationen zweckentfremdet. Ich erinnerte mich, daß ich sowohl den Schreibtisch als auch den Aktenschrank an dem Abend gesehen hatte, als ich mit Mace sprach. Eine Schachtel, auf die mein Name gekritzelt war, stand auf dem Tisch. Ich unterdrückte den Drang, weiter herumzuschnüffeln und nahm den Deckel ab, um den Inhalt zu überprüfen. Ein Duft stieg auf, eine zarte Mischung aus Zitrusfrüchten und Gewürzen. Ich schloß die Augen und fragte mich, ob das Lornas Duft war. Ich hatte schon öfter erlebt, daß die ganze Luft vom charakteristischen Duft einer Person erfüllt ist. Bei Männern ist es Rasierwasser, Leder oder Schweiß, bei Frauen Eau de Cologne. Der Schlüsselbund, den Janice erwähnt hatte, lag auf einer ordentlich eingepackten Ansammlung alphabetisch sortierter Aktenordner: Kontoauszüge, Einkommensteuer vergangener
Jahre, Dividenden, Aktien und verschiedene Jahresabrechnungen. Am einen Ende der Schachtel lag ein zusammengefalteter Kaschmirschal. Ich drückte ihn mir ans Gesicht und roch frisch gemähtes Gras, Zimt, Zitrone und Nelken. Dann trug ich die Schachtel in die Küche und stellte sie auf einen Küchenstuhl. Der Schal lag obenauf. »Gehörte der Lorna? Er war bei ihren Sachen in der Schachtel.«
Trinny zuckte die Achseln. »Ich denke schon.«
Ich faltete ihn zweimal und legte ihn in die Schachtel zurück. »Darf ich mich setzen? Ich hatte darauf gehofft, mit Ihnen sprechen zu können.«
»In Ordnung«, sagte sie. Sie stellte das Bügeleisen aus.
»Hoffentlich störe ich Sie nicht bei den Vorbereitungen fürs Abendessen.«
»Ich habe einen Auflauf im Ofen. Ich muß ihn nur noch aufwärmen und schnell einen Salat machen.«
Ich setzte mich und überlegte, wie ich ihr Informationen entlocken könnte. Ich war mir ja nicht einmal darüber im klaren, was ich wissen wollte, erachtete es aber als günstig, daß ich mit ihr allein war. Sie trug dieselben abgeschnittenen Jeans, in denen ich sie schon einmal gesehen hatte. Ihre Beine wirkten kräftig, und ihre nackten Füße steckten in Gummilatschen. Das T-Shirt, das sie heute anhatte, mußte Größe XXL sein. Auf der Vorderseite war es mit einem gemalten Muster verziert. Sie kam vom Bügelbrett an den Küchentisch herüber, wo sie sich mir gegenüber hinsetzte und begann, eine Tube Farbe in einem Jackson-Pollock-artigen Muster auf der Vorderseite eines neuen T-Shirts auszuquetschen. Punkte und Schnörkel. Vom Knauf eines der Küchenschränke hing ein fertiges Werk, dessen Farbauftrag sich in drei Dimensionen ausdehnte. Sie fing meinen Blick auf. »Das ist Plusterfarbe«, erklärte sie. »Man trägt sie auf und läßt sie trocknen, und wenn man sie von links bügelt, bläht sie sich so auf.«
»Das ist ja sagenhaft«, sagte ich. Ich stand auf und ging näher an den Küchenschrank heran, um das Endprodukt eine Weile in Augenschein zu nehmen. Ich fand es gräßlich, aber was verstehe ich schon davon? »Verkaufen Sie die?«
»Tja, bis jetzt noch nicht, aber ich hoffe darauf. Ich habe das gemacht, das ich anhabe, und immer, wenn ich ausgehe, sagen alle: >Oh, wow, cooles T-Shirt.< Deshalb habe ich mir gedacht, ich könnte mich selbständig machen, wenn ich schon nicht arbeiten gehe.«
Mann, o Mann. Sie und ihre Schwester Lorna, beide vom Unternehmergeist getrieben. »Seit wann machen Sie das schon?«
»Erst seit heute.«
Ich nahm meinen Platz am Küchentisch wieder ein und sah Trinny bei der Arbeit zu. Ich begann, meine Leine auszuwerfen. Es gab bestimmt etwas, das ich aus ihr herausholen könnte. Zu meiner Rechten lag ein Stapel Reiseprospekte, in denen Alaskakreuzfahrten, Skiferien und Pauschalreisen nach Kanada und in die Karibik angepriesen wurden. Ich nahm mir einen der Prospekte
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