Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht
beiden schlau oder tatkräftig genug vorkam.
Ich griff zum Telefon und rief Frankie’s Coffee Shop an. Janice nahm selbst den Hörer ab. Im Hintergrund konnte ich Musik aus der Musikbox hören, aber sonst kaum etwas.
»Hallo, Janice. Hier ist Kinsey, aus San Francisco.«
»Ah, Kinsey. Wie geht’s Ihnen? Ich wundere mich immer wieder, wenn ich zu so später Stunde von Ihnen höre. Haben Sie den Kerl gefunden, für den sie gearbeitet hat?«
»Ich habe ihn heute abend gesprochen, und außerdem habe ich einen der anderen Schauspieler aus dem Film ausfindig gemacht. Ich bin mir noch nicht im klaren darüber, was ich von den beiden halten soll. In der Zwischenzeit bin ich auf etwas anderes gestoßen. Könnte ich eventuell einen Blick auf Lornas Finanzunterlagen werfen?«
»Ich denke schon. Können Sie mir sagen, warum, oder ist das Geheimsache?«
»Zwischen uns ist nichts Geheimsache. Sie zahlen ja für meine Dienste. Ich versuche, ein Motiv zu finden. Geld wäre eine offenkundige Möglichkeit.«
»Das stimmt wohl, aber ich kann mir nur schwer vorstellen, daß es in diesem Fall zutreffen könnte. Niemand von uns hat auch nur geahnt, daß sie Geld hatte, bis sie starb und wir ihre Papiere durchgingen. Ich bin immer noch schockiert. Es war unglaublich, von meinem Blickwinkel aus. Andauernd habe ich ihr Zwanziger zugesteckt, damit sie auch bestimmt ordentlich aß. Und dann saß sie da auf diesen ganzen Aktien und Wertpapieren und Sparbüchern. Sie muß sechs davon gehabt haben. Man sollte annehmen, daß sie mit so viel Geld ein bißchen besser hätte leben können.«
Ich wollte ihr gerade sagen, daß das Geld ein Teil von Lornas Altersversorgung war, doch irgendwie kam mir das taktlos vor, nachdem sie ja nicht lang genug gelebt hatte, um in diesen Genuß zu kommen. »Gab’s ein Testament?«
»Nun, ja. Nur ein Blatt Papier, das sie selbst verfaßt hatte. Sie hinterließ alles Mace und mir.«
»Das würde ich gern sehen, wenn Sie nichts dagegen haben.«
»Sie können alles sehen, was Sie wollen. Wenn ich von der Arbeit nach Hause komme, suche ich die Schachtel mit Lornas Papieren heraus und stelle sie auf Berlyns Schreibtisch. Sie können vorbeikommen, wenn Sie wieder hier sind und sie bei ihr abholen.«
»Das wäre gut. Ich möchte sowieso mit Ihren beiden Töchtern sprechen.«
»Oh, nur zu. Dabei fällt mir ein: Haben Sie mit dieser Frau gesprochen, bei der Lorna das Haus gehütet hat?«
»Einmal.«
»Tja, ich wollte Sie fragen, ob Sie mir einen Gefallen tun würden. Das letzte Mal, als ich Lornas Sachen durchging, bin ich auf einen Schlüsselbund gestoßen, der bestimmt ihr gehört. Ich wollte ihn andauernd zurückgeben, bin aber einfach nicht dazu gekommen.«
»Soll ich ihn bei ihr vorbeibringen?«
»Da wäre ich Ihnen dankbar. Ich habe zwar das Gefühl, als sollte ich es selbst tun, aber ich habe einfach nicht die Zeit. Und bitte garantieren Sie mir, daß ich alles zurückbekomme, wenn Sie damit fertig sind. Es sind ein paar Dividenden- und Zinsabrechnungen dabei, die ich dem Testamentsvollstrecker vorlegen muß, wenn er ihre Einkommensteuererklärung einreicht.«
»Ist der Nachlaß schon geregelt?«
»Er ist noch in Arbeit. Was ich Ihnen gebe, sind Kopien, aber ich möchte sie trotzdem wiederhaben.«
»Kein Problem. Ich kann Ihnen wahrscheinlich alles übermorgen wieder vorbeibringen.«
»Das wäre nett.« Ich konnte hören, wie das Geplauder im Hintergrund lauter wurde. Sie sagte: »Oh, oh. Ich muß Schluß machen.«
»Bis morgen«, sagte ich und legte auf.
Ich sah mich in meinem Zimmer um, das zwar zweckmäßig, aber trostlos war. Die Matratze war so kompakt wie Lehm, während die Kissen aus Schaumgummi waren und gravierende Nackenschäden versprachen. Ich hatte einen Rückflug um die Mittagszeit gebucht. Nun war es fast drei Uhr morgens, und mir war nicht nach Schlafen zumute. Wenn ich mein Flugticket verfallen ließ, konnte ich den Mietwagen zurückfahren und ihn am Flughafen in Santa Teresa abgeben, wo mein VW auf dem Parkplatz für Langzeitparker stand. Die Fahrt würde etwa sechs Stunden dauern, und wenn ich es schaffte, nicht am Steuer einzuschlafen, wäre ich um neun Uhr morgens dort.
Ich merkte plötzlich, wie mir die Vorstellung, nach Hause zu fahren, einen Energieschub versetzte. Ich schwang die Füße über die Bettkante, angelte nach meinen Reeboks, zog sie an und ließ die Schnürsenkel hängen. Dann ging ich ins Badezimmer, sammelte meine Toilettenartikel auf und stopfte alles in
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