Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht
etwas gesprochen, erst recht nicht, wenn es um seine Arbeit ging.«
»Es hatte auch überhaupt nichts mit seinen eventuellen Äußerungen zu tun.
Er glaubt, dass jemand unbefugt einen Blick in seine Notizen geworfen hat.«
»Aber sein Notizbuch ist verschwunden.«
»Tja, damals war es noch da.«
»Wen hatte er im Verdacht? Hat er je einen Namen genannt?«
»Jemanden, mit dem er zusammengearbeitet hat. Aber das ist eine Vermutung von mir, nichts, das er mir direkt gesagt hätte. Warum sollte es ihn sonst belasten, wenn es nicht jemand war, der die Dienststelle hintergangen hat?«
Ich wurde nachdenklich. In Gedanken ließ ich die Beamten Revue passieren, die ich in Nota Lake kennengelernt hatte: Rafer LaMott; Toms Bruder Macon; Hatch Brine; James Tennyson; Earlenes Ehemann Wayne. Und Hilfssheriff Carey Badger, der in der Nacht nach dem Überfall meinen Bericht aufgenommen hatte. Die Liste schien gar nicht mehr enden zu wollen, und alle, die in Frage kamen, standen in Zusammenhang mit dem Sheriffbüro von Nota Lake oder der Highway Patrol. Im Hinterkopf hatte ich mit einer Möglichkeit gespielt, die ich mir kaum einzugestehen wagte: Ich hatte nämlich den Verdacht gehegt, dass mein Angreifer an einer Polizeischule ausgebildet worden war. Zunächst hatte ich mich dieser Vermutung widersetzt, aber nun spürte ich, wie sie sich in meiner Vorstellung festzusetzen begann. Er hatte mich mit solchem Geschick niedergerungen, wie ich es selbst einmal beigebracht bekommen hatte. Ich konnte mir zwar nicht sicher sein, dass er momentan bei einer Polizeibehörde arbeitete, aber allein die Vorstellung verursachte mir Gänsehaut. »Wollen Sie damit sagen, dass einer von Toms Kollegen in einen Doppelmord verwickelt ist?«
»Ich glaube, dass er diesen Verdacht hegte und ihn das zermürbt hat. Aber auch das hat er nie deutlich gesagt. Ich kann es nur vermuten.« Diesmal schwieg ich einen Moment. »Darauf hätte ich von selbst kommen sollen. Wie dumm von mir. Mist!« »Was wollen Sie jetzt tun?« »Fragen Sie mich was Leichteres. Was würden Sie denn vorschlagen?« »Vielleicht sollten Sie mit jemandem von der internen Untersuchungskommission sprechen.«
»Und was sagen? Ich bin selbstverständlich bereit, den Behörden alles anzuvertrauen, was ich weiß, aber im Moment ist doch alles reine Spekulation, oder?«
»Ja, schon. Das ist wohl auch ein Grund dafür, warum ich nicht selbst angerufen habe. Ich habe nichts Konkretes in der Hand. Vielleicht klärt sich alles auf, wenn Sie dort oben mit Pinkies Tochter sprechen.« »Und dabei den Täter darauf aufmerksam mache, dass ich ihm dicht auf den Fersen bin.«
»Aber Sie können das nicht allein erledigen.« »Wen soll ich denn verständigen? Das Sheriffbüro von Nota Lake?«
»Ich weiß nicht, ob ich das täte«, sagte sie und lachte zur Abwechslung einmal.
»Tja, also wenn ich die Lösung gefunden habe, sage ich Ihnen Bescheid«, erklärte ich. »Noch weitere Bemerkungen oder Ratschläge, solange wir beim Thema sind?«
Sie überlegte kurz. »Also, eines noch... obwohl Sie daran sicher schon gedacht haben. Es muß allgemein bekannt gewesen sein, dass Tom an dem Fall gearbeitet hat, also hat sich der Kerl wohl in Sicherheit gewähnt, nachdem Tom tot umgefallen war.«
»Und dann tauchte ich auf. Pech gehabt«, sagte ich. »Natürlich kann der Typ nicht genau wissen, wie viele Informationen Tom an seine Vorgesetzten weitergegeben hat.«
»Genau. Wenn es nicht in seinen Berichten steht, könnte es noch irgendwo in Umlauf sein, vor allem, da seine Notizen verschwunden sind. Hoffen Sie mal, dass Sie sie finden, bevor ein anderer darauf stößt.«
»Vielleicht hat sie bereits der Täter.«
»Warum hat er dann Angst vor Ihnen? Sie sind doch nur gefährlich, wenn Sie die Notizen haben«, meinte sie.
Ich dachte über die Durchsuchung von Toms Arbeitszimmer nach. »Da haben Sie recht.«
»Ich wäre vorsichtig.« »Keine Sorge«, sagte ich. »Noch eine Frage, solange ich Sie in der Leitung habe: Waren Sie je selbst in Nota Lake?«
»Soll das ein Witz sein? Tom war viel zu nervös, um sich dort mit mir zu treffen.«
Beunruhigt legte ich den Hörer auf. Mein Angstpegel schwoll bedrohlich an -wie eine Toilette, die kurz vorm Überlaufen steht. Die Angst war wie etwas Feuchtes und Schweres, das in meine Knochen sank. Ich habe ein gespaltenes Verhältnis zu Autoritätsfiguren, insbesondere uniformierten Polizisten, das vermutlich auf jene erste Begegnung zurückgeht, als ich mit
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