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Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht

Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht

Titel: Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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beeindruckend. Nichts beeinträchtigte die konturlose, bleiche Fläche - weder Bäume noch Gras, noch Anzeichen menschlicher Eingriffe. In den höheren Lagen konnte ich dort, wo tiefhängende Wolken genug Feuchtigkeit für pflanzliches Wachstum lieferten, Vegetation erkennen. Ich hatte meine halbautomatische Pistole eingepackt. Waffenexperten wie zum Beispiel Dietz spotteten gern über die kleine Davis, aber es war eine Schußwaffe, die ich kannte, und sie war mir wesentlich vertrauter als die Heckler & Koch, eine neuere Anschaffung. Angesichts des Zustands meiner lädierten Finger bezweifelte ich zwar, ob ich überhaupt zum Abdrücken in der Lage wäre, doch in meinem momentanen verängstigten Zustand war mir die Pistole ein Trost.
    Allmählich legte sich meine anfängliche Wut auf Selma wieder. Wenn ein Prozeß erst einmal in Gang gekommen ist, hat es bekanntlich keinen Sinn, mit seinem Schicksal zu hadern. Ich bedauerte, dass ich keine Zeit mehr gehabt hatte, um mich mit Leland Peck, dem Angestellten des Gramercy Hotels, in Verbindung zu setzen. Ich hatte mich auf das Wort seines Kollegen verlassen, dass er nichts auszusagen habe. Jeder gute Detektiv weiß es besser. Ich hätte mir die Mühe machen sollen, ihn aufzusuchen, um ihn nach seinen Erinnerungen an den Zivilfahnder mit dem Haftbefehl für Toth zu befragen. Ohne im geringsten zu ahnen, was auf mich zukommen sollte, dachte ich in der Zwischenzeit beiläufig an die bevorstehende Nacht. Es ist mir aus ganzem Herzen zuwider, bei jemand anders zu übernachten. Das Bett ist nur selten bequem. Meist gibt es zu wenig Decken. Die Kissen sind flach oder bestehen aus Hartgummi, der nach halb aufgepumpten Basketbällen riecht. Die Toilette läßt sich nicht ganz spülen, der Drücker klemmt oder das Papier geht aus, so dass man gezwungen ist, sämtliche Schränkchen nach dem so findig versteckten Vorrat zu durchsuchen. Das Schlimmste ist, dass man rund um die Uhr »nett« sein muß. Ich will beim Frühstück niemanden gegenüber sitzen haben. Ich will weder die Zeitung teilen müssen, noch will ich am Ende des Tages mit jemandem reden. Wenn ich an solchen Dingen interessiert wäre, wäre ich schon längst wieder verheiratet und hätte Ruhe und Frieden ein für allemal ein Ende bereitet.

20
    Als ich um Viertel vor sieben in Nota Lake eintraf, hatte sich die Nacht über die Landschaft gelegt, und das Wetter war richtig ekelhaft. Der Nieselregen hatte sich zu schneidendem Graupel verstärkt. Meine Scheibenwischer rackerten sich ab und häuften Matsch in einem Bogen an, der fast die gesamte Windschutzscheibe füllte. Ich vermutete, dass die Einwohner Nota Lakes, wie andere Menschen in kalten Klimazonen auch, ihre Mittel hatten, um mit dem wechselhaften Wesen des Schnees zurechtzukommen. Aus meinem begrenzten Erfahrungsschatz heraus schien mir der gefrierende Regen extrem gefährlich, da er die Straße so glatt machte wie eine Schlittschuhbahn. Manchmal merkte ich, wie mein Wagen seitlich ausbrach, dann bremste ich auf Schneckentempo ab. Das abgestorbene Gras am Straßenrand war steif geworden, und leichte Schneeverwehungen häuften sich auf ihm. Selma hatte mich dazu überredet, mit ihr zu Abend zu essen. Ich lasse mich in Essensfragen leicht beeinflussen, nachdem ich in den letzten Jahren von Rosies kulinarischer Herrschsucht konditioniert worden bin. Wenn ich von Frauen mit einem gewissen selbstherrlichen Tonfall herumkommandiert werde, tue ich, was man mir sagt, und bin weitgehend außerstande, mich zu wehren.
    Ich parkte vor Seimas Haus, schnappte mir meine Reisetasche und ging mit gebeugtem Kopf und eingezogenen Schultern eilig auf die Veranda zu, als könnte ich so der Mischung aus peitschendem Regen und schneidendem Schnee entgehen. Ich klopfte höflich und trat geduldig von einem Fuß auf den anderen, bis sie die Tür öffnete. Wir tauschten die üblichen Floskeln aus, während ich in die Diele trat und meine Füße auf einem Lumpen trocknete. Ich schlüpfte aus der Lederjacke und streifte beim Gedanken an den nagelneuen Teppich die Schuhe ab. Das Haus war ofenwarm und dunstig vom Zigarettenrauch, der in den hermetisch gegen den Winter abgeriegelten Räumen hing. Ich erschauerte vor Erleichterung darüber, der Kälte entronnen zu sein. Ich trottete hinter Selma her, die mich ins Gästezimmer führte. »Lassen Sie sich so viel Zeit, wie Sie wollen, um sich frisch zu machen und auszupacken. Ich habe etwas Platz im Schrank frei gemacht und eine Schublade für Ihre

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