Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht
erzählt?«
»Er hat mir nichts Spezielles anvertraut«, antwortete sie vorsichtig. »Darüber müßten Sie mit Macon reden. Die beiden standen sich wesentlich näher als ich ihnen.«
»Aber was hatten Sie für einen Eindruck? Hatten Sie das Gefühl, dass er unter Anspannung stand?«
»Möglich.«
Ewig schade, dass ich mir keine Notizen mache, da doch so viele Informationen hervorsprudelten. »Haben Sie ihn je danach gefragt?«
»Ich fand nicht, dass mir das zustand. Wir hatten kein solches Verhältnis zueinander. Er hat sich um seine Angelegenheiten gekümmert und ich mich um meine.«
»Haben Sie irgendwelche Vermutungen, was ihn belastet haben könnte?«
Sie zögerte einen Moment. »Ich glaube, Tom war unglücklich. Er hat es zwar mir gegenüber nie ausgesprochen, aber das ist meine Meinung.«
Ich machte so etwas wie »Mmm«, ein verbales Füllsel, begleitet von einem Blick, der hoffentlich Mitgefühl ausdrückte.
Sie faßte dies als Ermutigung auf und setzte zu ihrer Analyse an. »Es liegt mir fern, Selma zu kritisieren. Er hat sie geheiratet, nicht ich. Womöglich steckt ja mehr in ihr, als man auf den ersten Blick sieht. Jedenfalls müssen wir das hoffen. Falls Sie meine Meinung interessiert: Mein Bruder hätte etwas wesentlich Besseres haben können. Selma ist ein Snob, wenn Sie's genau wissen wollen.«
Diesmal murmelte ich: »Tatsächlich.« Ihr Blick streifte über mein Gesicht und schweifte dann wieder ab. »Sie sehen aus, als hätten Sie eine gute Menschenkenntnis, also habe ich nicht das Gefühl, indiskret zu sein, wenn ich das sage. Sie ist nicht religiös, selbst wenn sie in die Kirche geht. Sie ist ein bißchen materialistisch und scheint sich einzubilden, sie könnte mit Anschaffungen die Leere in ihrem Leben füllen, aber das funktioniert nicht.« »Zum Beispiel?«
»Haben Sie den neuen Teppich im Wohnzimmer gesehen?« »Ja, habe ich.« Cecilia warf mir einen selbstzufriedenen Blick zu. »Den hat sie sich vor etwa zehn Tagen legen lassen. Ich fand es geschmacklos, das so früh zu tun, aber Selma hat mich gar nicht gefragt. Außerdem hat sie mir einmal erzählt, dass sie sich die Schneidezähne überkronen lassen will, was nicht nur eitel, sondern absolut unnütz ist. Geldverschwendung ist gar kein Ausdruck. Aber jetzt, wo sie Witwe ist, kann sie ja wohl machen, was sie will.« Ich fragte mich, was gegen Eitelkeit einzuwenden sei. Angesichts der Bandbreite menschlicher Verfehlungen ist Egozentrik doch harmlos im Vergleich mit einigen anderen, die ich anführen könnte. Warum sollte man nicht tun, was man wichtig fand, um sich in seiner Haut wohler zu fühlen -innerhalb vernünftiger Grenzen natürlich. Wenn Selma sich die Zähne überkronen lassen wollte, warum sollte Cecilia das auch nur die Bohne interessieren? Was ich allerdings sagte, war: »Ich habe den Eindruck, sie hing sehr an Tom.«
»Das ist ja wohl nicht mehr als recht und billig. Er übrigens auch an ihr, könnte ich hinzufügen. Tom hat sein Leben damit zugebracht, diese Frau zufriedenzustellen. Wenn es nicht das eine war, dann war es das andere. Zuerst mußte sie ein Haus haben. Dann wollte sie etwas Größeres in einer besseren Gegend. Dann mußten sie Mitglieder im Country Club werden. Es ging immer weiter und weiter. Und wenn sie einmal nicht bekam, was sie wollte? Tja, dann schmollte und grollte sie, bis er nachgab und es für sie besorgte. In meinen Augen war es erbärmlich. Tom tat, was er konnte, aber es war einfach unmöglich, sie glücklich zu machen.«
Ich sagte: »Du liebe Güte!« So rede ich immer in solchen Situationen. Doch mir fiel beim besten Willen nicht ein, wie ich nun weitermachen sollte. »Er war ein gutaussehender Mann. Ich habe drüben ein Bild von ihm gesehen«, fuhr ich anbiedernd fort. »Er war ausgesprochen attraktiv. Warum er Selma geheiratet hat, war mir ein Rätsel. Und dann noch dieser Sohn!« Cecilia zog den Mund zusammen wie einen Tabaksbeutel. »Brant war mir vom ersten Moment an zuwider. Er hatte eine Ausdrucksweise wie ein Fernfahrer und war maßlos frech. Widerworte und Unverschämtheiten! So was haben Sie noch nie gehört. War auch in der Schule schlecht. Hatte Probleme mit seinem Temperament und dem, was sie seine >Reizkontrolle< nannten. Selma hielt ihn natürlich für einen Heiligen. Sie ließ kein Wort der Kritik durchgehen, egal, was er anstellte. Der arme Tom war der Verzweiflung nahe. Ich glaube, irgendwie hat er es schließlich geschafft, den Jungen zur Vernunft zu bringen, aber
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