Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht
Auspuff loderten. Manche der Ziffern waren dreidimensional gestaltet, eine Technik, die ich auch manchmal anwandte, wenn ich telefonierte. Manche Daten waren mit Bleistift umrandet; manche waren mit unterschiedlicher Strichdichte nachgezogen und schraffiert. Ich brütete über alldem, als wären es Hieroglyphen, dann ging ich die Fläche Kritzelei für Kritzelei durch. Die Zeichnungen waren denen sehr ähnlich, die männliche Sechstkläßler zu meiner Zeit geliebt hatten: Dolche, Blut und Pistolen, die dicke Kugeln auf einen karikierten Kopf abfeuerten. Das einzige sich wiederholende Element war ein dicker Strick, der wie die Schlinge an einem Galgen geformt war. Tom hatte zwei davon gezeichnet: einen mit einer durchgestrichenen Telefonnummer in der Mitte und einen zweiten mit einer Zahlenreihe, gefolgt von einem Fragezeichen. In einer Ecke der Schreibtischauflage befand sich ein von Hand gezeichneter Kalender des Monats Februar mit ordentlich eingetragenen Zahlen. Ich überprüfte den Kalender rasch und stellte fest, dass er nicht mit dem Februar dieses Jahres übereinstimmte. Der erste fiel auf einen Sonntag, und die beiden letzten Samstage des Monats waren durchgestrichen. Ich nahm mir die Zeit, eine ausführliche Liste sämtlicher Telefonnummern und Aktenzeichen anzulegen. Neugierig geworden, holte ich die Telefonrechnungen der letzten sechs Monate heraus, da ich hoffte, ich würde dort eine der Nummern finden. Ich wurde vorübergehend abgelenkt, als mir sieben Anrufe in das Gebiet mit der Vorwahl 805 auffielen, das sowohl Santa Teresa als auch das südlich davon gelegene Perdido County und San Luis Obispo im Norden umfaßt. Eine Nummer erkannte ich als die des Sheriffbüros von Perdido County. Dazu kamen sechs Anrufe bei einer anderen Nummer im Abstand von jeweils etwa zwei Wochen. Das letzte Datum stammte von Ende Januar, wenige Tage vor seinem Tod. Ganz spontan nahm ich den Telefonhörer ab und wählte die Nummer. Nach dreimaligem Klingeln schaltete sich ein Anrufbeantworter ein, und eine Frauenstimme erzählte das Üb liche: »Leider bin ich momentan nicht zu erreichen, aber wenn Sie Namen, Nummer und eine Nachricht hinterlassen, rufe ich Sie so bald wie möglich zurück. Lassen Sie sich ruhig Zeit und warten Sie bitte auf den Signalton.« Ihre Stimme war kehlig und älteren Jahrgangs, doch darüber hinaus erhielt ich keine Informationen. Ich wartete auf den Signalton, entschied mich dann jedoch dagegen, eine Nachricht zu hinterlassen, und legte auf, ohne ein Wort zu sagen. Vielleicht war sie eine Freundin von Selma. Ich mußte mich danach erkundigen, wenn ich dazu kam.
Ich notierte mir die Nummer und machte mich wieder an die Arbeit, indem ich versuchte, die Nummern auf den Telefonrechnungen mit den Nummern auf der Schreibtischauflage zu vergleichen. Endlich hatte ich einen Erfolg zu verbuchen. Es sah ganz danach aus, als hätte jemand - vermutlich Tom - bei der Nummer angerufen, die ich durchgestrichen in einer der Schlingen entdeckt hatte, obwohl dort die Nummer ohne die Vorwahl 805 notiert worden war. Ich wählte nun meinerseits die Nummer, und am anderen Ende wurde von einem richtigen Menschen abgenommen. »Gramerey. Mit wem darf ich Sie verbinden?« » Gramercy?« »Ja, Ma'am.«
»Ist dort das Gramercy Hotel in Santa Teresa?« »Genau.« »Tut mir leid. Dann habe ich mich verwählt.«
Ich drückte auf die Gabel und unterbrach die Verbindung. Das war nun wirklich seltsam. Das Gramercy Hotel war eine miese Absteige an der unteren State Street. Warum sollten die Newquists dort anrufen? Ich umringelte die Nummer in meinen Aufzeichnungen, setzte ein Fragezeichen dahinter und machte mich erneut an die Durchsicht der Telefonrechnungen. Ich fand keine weitere Nummer, die auf den ersten Blick bedeutungsvoll ausgesehen hätte. Ich stellte eine zweite Pappschachtel auf den Schreibtisch und packte weiter ein.
Um zehn Uhr legte ich eine Pause ein, um die Beine auszustrecken und ein paar Kniebeugen zu machen. Ich mußte noch die unteren Fächer ausräumen, von denen zwei hinter breiten Türen verborgen waren, die sich über die gesamte Breite der Bücherregale erstreckten. Ich beschloß, das Schlimmste gleich hinter mich zu bringen, ließ mich auf alle viere herab und begann, auf der linken Seite Kisten herauszuziehen. Die Lagerfläche war so geräumig, dass ich mit dem Kopf hineintauchen mußte, um bis in die hintersten Ecken zu kommen. Ich hievte zwei Kisten hervor, blieb gleich auf dem Fußboden sitzen und sah
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