Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht
aber ich hatte keinen Beweis. Deshalb habe ich ja so lange damit gezögert, etwas zu sagen. Macon fand, dass es uns nichts anginge, und da er mir ständig auf die Finger sah, saß ich in der Zwickmühle.« »Warum erzählen Sie es mir jetzt?«
»Es war die erste Gelegenheit, die ich hatte. Als ich Sie vorhin reden hörte, wurde mir klar, wie frustrierend es aus Ihrer Sicht sein muß. Ich meine, vielleicht finden Sie ja Beweise, wenn Sie wissen, wo Sie suchen müssen. Wenn Tom herumgevö... fremdgegangen ist, meine ich - muß er doch irgendeine Spur hinterlassen haben, es sei denn, er ist schlauer als die meisten Männer.« Die Haustür ging mit einem Ruck auf, und Selma steckte den Kopf heraus. »Da seid ihr. Ich dachte schon, ihr zwei wärt abgehauen und hättet mich sitzenlassen. Was macht ihr denn?«
»Wir haben nur geplaudert«, antwortete Phyllis, ohne zu zögern.
»Ich wollte nach Hause gehen, und sie war so nett, mich hinauszubegleiten.« »Schau sie bloß mal an! Sie ist ja ganz erfroren. Laß die Ärmste mal reinkommen und auftauen, du liebe Güte!«
Dankbar huschte ich ins Haus, während die beiden die nächste Arbeitssitzung für den morgigen Vormittag besprachen. Ich ging in die Küche, wo ich mir die Hände wusch. Ich hätte mir denken sollen, dass eine andere Frau mit im Spiel war. Das könnte erklären, warum Toms Kumpel ihn so schützten. Außerdem könnte es die sechs Anrufe mit der Vorwahl 805 bei der Unbekannten erklären, deren Bandansage ich abgehört hatte.
Kurz darauf kam Selma ganz aufgeregt herein. »Also, wenn das nicht der Gipfel ist! Ich kann es gar nicht glauben. Phyllis hat mir gerade von einer Dinner-Party erzählt, die demnächst hier in der Nachbarschaft stattfindet. Aber bin ich etwa eingeladen? Natürlich nicht«, sagte sie. »Jetzt, wo ich Witwe bin, läßt man mich fallen wie eine heiße Kartoffel. Ich weiß, dass Toms Freunde - die Männer -mich mit einbeziehen würden, aber Sie wissen ja, wie Frauen sind: Sie fühlen sich schon beim Gedanken an eine alleinstehende Frau bedroht. Als Tom noch gelebt hat, gehörten wir zu einer Gruppe, die überall dabei war - Cocktail-Partys, Essenseinladungen, Tanzabende im Club. Wir haben immer zur Gesellschaft gehört, aber in den Wochen seit seinem Tod habe ich das Haus nicht mehr verlassen. In den ersten paar Tagen haben mir natürlich alle zur Seite gestanden. Eintöpfe und Versprechungen. So kommt es mir zumindest vor. Jetzt sitze ich Abend für Abend hier, und das Telefon klingelt kaum einmal, es sei denn wegen dieser Dinge. Sklavenarbeit nenne ich das. Die gute alte Selma ist immer für ein Komitee zu haben. Ich schufte und schufte. Ich rackere mich ab, und was habe ich davon? Die anderen Frauen geben die Verantwortung nur allzugern ab. Dann haben sie selbst nicht die Mühe, wissen Sie?«
»Aber Selma, es ist doch erst sechs Wochen her. Vielleicht bezeugen die Leute ihren Respekt, indem sie Ihnen Zeit zum Trauern lassen.« »So würden es die anderen sicher auch darstellen«, erwiderte sie spitz. Ich entgegnete irgend etwas und hoffte, sie von diesem Thema ablenken zu können. Ihr Blickwinkel war verzerrt, und ich fragte mich, was geschähe, wenn sie sich so sehen könnte, wie andere sie sahen. Es war ihre Großspurigkeit, die andere kränkte, nicht ihre Unsicherheit. Selma schien sich nicht bewußt zu sein, wie durchschaubar sie war; sie ahnte offenbar nicht im geringsten, mit welcher Verachtung sie wegen ihres Snobismus betrachtet wurde. Irgendwie schüttelte sie ihre Mißstimmung ab. »Schluß mit dem Selbstmitleid. Das ändert auch nichts. Kann ich Ihnen einen Happen zum Mittagessen anbieten? Ich mache Suppe heiß und könnte uns überbackene KäseSandwiches grillen.«
»Klingt prima«, sagte ich. Schon jetzt bekam ich Schuldgefühle, weil ich ihre Gastfreundschaft annahm, nachdem ich mir seelenruhig die vernichtenden Kommentare anderer Leute angehört hatte. Ich sagte mir, dass das zu den Informationen gehörte, die ich sammelte, aber ich hätte gegen die Gehässigkeit protestieren können, mit der diese Ansichten geäußert worden waren. Mittlerweile mit der Küche vertraut, öffnete ich den Geschirrschrank und nahm Suppentassen und Teller heraus. »Kommt Brant auch zum Essen?« »Das bezweifle ich. Er ist noch in seinem Zimmer und liegt vermutlich im Tiefschlaf. Er geht dreimal die Woche zum Fitneßtraining, daher schläft er die Vormittage dazwischen gerne aus. Lassen Sie mich mal nachsehen.« Sie verschwand kurz und kehrte
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