Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer
Gedanke. Was, wenn die anderen alle in Designer-Jeans kamen? Was, wenn ich die Einzige war, die in einem Kleid aus knitterfreiem Synthetikmaterial erschien, das sich in späteren Untersuchungen als krebserregend erweisen würde? Ich stünde als gesellschaftlicher Paria da, was ich ja in Wirklichkeit auch bin.
18
Kurz nach sechs bog ich in den Parkplatz auf dem Anwesen der Hightowers ein. Das Haus war hell erleuchtet, obwohl es frühestens in einer Stunde dunkel werden würde. Es war ein kühler Abend, dem Wetterbericht im Autoradio zufolge siebzehn Grad. Ich parkte meinen 1974er VW zwischen einem flachen roten Jaguar und einem kastenförmigen schwarzen Rolls mit Chromverzierungen, wo er eine etwas traurige Figur machte: ein Baby-Buckelwal, der schneidig in einem Schwarm Haie mitschwamm. In einem Moment der Erleuchtung in letzter Minute hatte ich mein modisches Dilemma folgendermaßen gelöst: schwarze Ballerinas, schwarze Strümpfe, einen ganz kurzen schwarzen Rock und ein langärmliges schwarzes T-Shirt. Ich hatte sogar einen Hauch Make-up aufgetragen: Puder, Lipgloss und einen verschmierten schwarzen Streifen unter den Wimpern.
Ein weißes Hausmädchen mittleren Alters in schwarzer Uniform öffnete auf mein Klingeln die Haustür und bat mich in die Halle, wo sie sich erbot, mir die Handtasche abzunehmen. Ich lehnte ab, da ich sie lieber behalten wollte, denn es war ja immerhin denkbar, dass sich eine ideale Gelegenheit ergab, wieder zu flüchten. Ich konnte Gesprächsfetzen hören, durchsetzt von der Art Lachen, die auf anhaltenden und unbegrenzten Zugang zu Alkohol schließen ließ. Das Hausmädchen murmelte eine diskrete Aufforderung und begann in ihren besonders geräuscharmen Hausmädchenschuhen das Wohnzimmer zu durchqueren. Ich folgte ihr durchs Esszimmer und hinaus auf die windgeschützte Terrasse, wo bereits etwa fünfzehn bis zwanzig Personen mit ihren Drinks und Cocktailservietten herumstanden. Eine Bedienung ging mit einem Tablett voller Hors d’œuvres herum: winzige Ein-Happen-Lammkoteletts mit Papierhöschen am einen Ende.
Wie es für kalifornische Partys typisch ist, war ein Teil der Gäste weitaus besser gekleidet als ich, und ein anderer Teil war angezogen wie Penner. Die ganz Reichen scheinen darin besonders geübt zu sein, indem sie ausgebeulte Freizeithosen, unförmige Baumwollhemden und Segelschuhe ohne Socken tragen. Die nicht ganz so Reichen müssen sich ein bisschen mehr anstrengen, indem sie Unmengen von Goldschmuck hinzufügen, der echt oder falsch sein kann. Ich lehnte meine Tasche hinter einem Stuhl in der Nähe an die Wand und blieb stehen, wo ich war, während ich hoffte, mich orientieren zu können, bevor die Panik einsetzte. Ich kannte keine Menschenseele und liebäugelte bereits mit Fluchtgedanken. Wenn ich Eric oder Dixie nicht in den nächsten zwanzig Sekunden entdeckte, würde ich mich davonschleichen.
Ein schwarzer Kellner in einem weißen Jackett erschien neben mir und fragte mich, ob ich etwas trinken wolle. Er war groß, hatte Pigmentflecken im Gesicht, war etwa Mitte vierzig und sprach in kultiviertem Tonfall und mit abwesender Miene. Auf seinem Namensschild stand »Stewart«. Ich fragte mich, was er von der besseren Gesellschaft Montebellos hielt, und hoffte inständig, dass er mich nicht mit den anderen in einen Topf warf. Wenn ich es mir genauer überlegte, bestand aber zu dieser Befürchtung wohl nicht allzu viel Anlass.
»Könnte ich ein Glas Chardonnay haben?«
»Sicher. Wir reichen Kistler, Sonoma Cutrer und einen Beringer Private Reserve.«
»Überraschen Sie mich«, sagte ich und legte dann den Kopf schief. »Kenne ich Sie nicht irgendwoher?«
»Rosie’s. Fast jeden Sonntag.«
Ich zeigte auf ihn. »Dritte Nische hinten. Sie lesen meistens ein Buch.«
»Genau. Zurzeit habe ich zwei Jobs, und Sonntag ist der einzige Tag, den ich für mich habe. Drei meiner Kinder sind auf dem College, und das vierte fängt nächstes Jahr an. 1991 bin ich wieder ein freier Mann.«
»Was ist der zweite Job?«
»Verkäufe per Telefon. Die Firma gehört einem Freund von mir, und er lässt mich immer dann einspringen, wenn es mir passt. Er hat sowieso einen hohen Verschleiß, und ich beherrsche die Masche. Bin gleich wieder da. Gehen Sie nicht weg.«
»Ich bleibe hier.«
Ein Stück weit weg von mir entdeckte ich Mark Bethel, der ins Gespräch vertieft neben Erics Rollstuhl kauerte. Eric wandte mir den Rücken zu, Mark hockte direkt links von ihm und blickte in meine
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