Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer
nach, wie sie auf ihren Zehnzentimeterabsätzen davonwankte. Sie hielt sich genau an meine Anweisungen und trat durch die Glastür ins Esszimmer. Sie wandte sich nach links zur ersten Tür, legte den Kopf schief, klopfte leise, drehte den Knauf und ging hinein. Es entpuppte sich als Wäscheschrank, und so spazierte sie schnurstracks wieder heraus. Sie sah etwas verlegen und komplett verwirrt drein. Sie entdeckte eine zweite Tür, sah sich aber zunächst rasch um, um festzustellen, ob irgendjemand ihren Irrtum bemerkt hatte. Sie klopfte und ging hinein, nur um sich auf der Stelle wieder umzudrehen und den mit Stereogeräten gefüllten Schrank zu verlassen. Na, so ein Mist aber auch. Offenbar habe ich genauso viel Ahnung von Klos wie von hochpreisigen Ginsorten.
Ich bahnte mir langsam den Weg durch die Menge und fing Stewart ab, der gerade mit meinem Wein zurückkehrte. Als ich die Frau das nächste Mal sah, wich sie mir gezielt aus, aber vermutlich würde sie Dixie gegenüber andeuten, dass sie mich entlassen solle. In der Zwischenzeit erschien eine junge Frau mit einem Tablett Hors d’œuvres, diesmal halbierte neue Kartoffeln in der Größe von Fünzig-Cent-Stücken, gekrönt von einem Tupfer saurer Sahne und einem Ameisenhügel schwarzen Kaviars. Binnen Minuten würde aller Atem nach Fisch riechen.
Erics Unterhaltung mit Mark war beendet. Ich fing Marks Blick auf, und er kam auf mich zu, nicht ohne unterwegs ein paar Hände zu schütteln. Als er endlich bei mir anlangte, war seine öffentliche Miene durch einen ehrlich betroffenen Gesichtsausdruck verdrängt worden. »Kinsey. Sagenhaft. Ich dachte mir gleich, dass Sie es sind. Ich habe bereits versucht, Sie zu erreichen«, sagte er. »Seit wann sind Sie hier?«
»Seit ein paar Minuten. Ich dachte mir schon, dass wir uns hier treffen würden.«
»Tja, viel Zeit haben wir nicht. Laddie hat noch auf einer anderen Party zugesagt, und wir müssen gleich gehen. Judy hat mir das mit Mickey ausgerichtet. Schreckliche Geschichte. Wie geht’s ihm denn?«
»Nicht gut.«
Mark schüttelte den Kopf. »Was ist das nur für eine beschissene Welt, in der wir leben? Als ob er nicht ohnehin schon genug Probleme hätte.«
»Judy meinte, Sie hätten ihn im März gesprochen.«
»Das stimmt. Er hat mich um Hilfe gebeten, allerdings etwas verschlüsselt. Sie wissen ja, wie er ist. Übrigens habe ich mit Detective Claas gesprochen, als ich in L.A. war, aber ich habe nicht viel erfahren. Sie halten sich sehr bedeckt.«
»Das kann man laut sagen. Sie sind alles andere als begeistert davon, dass ich auf der Bildfläche aufgetaucht bin.«
»Das habe ich gehört.«
Ich konnte mir gut vorstellen, welches Lamento ihm von Seiten der Cops zu Ohren gekommen war. »Momentan machen mir Mickeys Krankenhausrechungen die meisten Sorgen«, sagte ich. »Soweit ich weiß, hat er jegliche Krankenversicherung verloren, als er aus seinem Job geflogen ist.«
»Das ist sicher kein Problem. Seine Rechnungen können aus dem Fonds für Opfer von Gewaltverbrechen bezahlt werden, über das Büro des Staatsanwalts. Vermutlich wurde das schon in die Wege geleitet, aber ich erkundige mich gern einmal. Übrigens bin ich auf dem Rückweg kurz an Mickeys Wohnung vorbeigefahren. Ich dachte mir, ich sollte mich mit seiner Vermieterin bekannt machen, falls irgendwelche Fragen auftauchen.«
»Oh, gut. Denn das andere, was mich belastet, ist diese Zwangsräumung. Der Sheriff ist bereits dort gewesen und hat die Türschlösser ausgetauscht.«
»Das habe ich auch mitbekommen«, sagte er. »Offen gestanden wundert es mich, dass Sie so großes Interesse an der Sache zeigen. Ich hatte den Eindruck, Sie hätten Mickey seit Jahren nicht gesprochen.«
»Hab ich auch nicht, aber es sieht ganz danach aus, als sei ich ihm etwas schuldig.«
»Wie das?«
»Sie wissen ja, dass ich ihm die Schuld an Benny Quinteros Tod gegeben habe. Und jetzt habe ich erfahren, dass Mickey in dieser Nacht mit Dixie zusammen war.«
»Diese Geschichte habe ich auch gehört, aber ich wusste nie, für wie glaubwürdig ich sie halten soll.«
»Wollen Sie mir erzählen, die beiden hätten gelogen?«
»Wer kann das wissen? Ich habe mir angewöhnt, nicht zu spekulieren. Mickey hat es mir nicht verraten, und ich habe ihn nicht um Informationen bedrängt. Zum Glück mussten wir diesen Punkt nie vor Gericht verfechten — weder so noch so.«
Ich sah, wie er in Laddies Richtung blickte und ihren Abmarsch kalkulierte, der unmittelbar bevorstand.
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