Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer

Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer

Titel: Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
Vom Netzwerk:
schaltete den Fernseher an. Unterdessen musste der Hund von einem leisen Flüstern der Erinnerung gekitzelt worden sein, da er sich auf die Suche nach mir machte, die Nase dicht am Boden. Versteck spielen... was für ein Spaß... und ratet mal, wen er gefunden hat. In null Komma nichts hatte er meinen Overall entdeckt. Nur um zu zeigen, wie schlau er war, schien er tatsächlich ein Auge gegen den Spalt zu drücken, bevor er an dem Stoff zerrte. Er schüttelte den Kopf vor und zurück und knurrte begeistert, während er an meinem Hosenbein zerrte. Ohne nachzudenken, steckte ich den Kopf aus der Tür und legte einen Finger auf die Lippen. Hoch erfreut fing er zu bellen an, wodurch er mich freigab, und tänzelte dann vor und zurück, in der Hoffnung, ich würde mit ihm spielen. Ich muss sagen, es war peinlich zu sehen, wie ein Köter von fünfunddreißig Kilo sich auf meine Kosten dermaßen amüsierte. Rich, dem der Grund dafür verborgen geblieben war, brüllte seinem Hund Befehle zu, woraufhin das Tier unentschlossen dastand und zwischen Gehorsam gegenüber seinem Herrchen und der Freude über seine Entdeckung schwankte. Rich rief erneut nach ihm, und mit einer Reihe überschwänglicher Jaullaute sprang er davon. Als er wieder im Fernsehzimmer angekommen war, wies Rich ihn an, sich hinzusetzen, und offenbar gehorchte er. Ich hörte ihn noch einmal bellen, um sein Herrchen darauf hinzuweisen, dass Amüsement winkte.
    Ich riskierte keine weitere Verzögerung. Mit — wie ich hoffte — absolut lautlosen Bewegungen schlich ich an die Tür und öffnete sie einen Spalt weit. Ich stand kurz vor dem Entkommen, als mir mein Klemmbrett einfiel, das auf der Arbeitsfläche lag, wo Rich es hingeworfen hatte. Ich nahm mir die Zeit, danach zu greifen, und schlüpfte dann zur Hintertür hinaus, die ich vorsichtig hinter mir wieder schloss. Ich schlich die Stufen hinab und eilte links die Einfahrt entlang, während ich mir lässig mit dem Klemmbrett auf den Schenkel klopfte. Mein Impuls war eigentlich, zu rennen, sowie ich die Straße erreicht hatte, doch ich zwang mich zu gemäßigter Gangart, da ich keine Aufmerksamkeit auf meinen Abmarsch lenken wollte. Es gibt nichts Auffälligeres als jemanden in Zivilkleidung, der die Straße entlangrennt, als würde er von wilden Tieren verfolgt.

3

    Die Rückfahrt nach Santa Teresa verlief ohne Zwischenfälle, obwohl ich mittlerweile dermaßen unter Adrenalin stand, dass ich mich bewusst darum bemühen musste, nicht zu rasen. Irgendwie sah ich überall Polizisten: zwei an einer Kreuzung, wo sie den Verkehr regelten, weil eine Ampel kaputt war; einer, der hinter einem Gebüsch neben der Auffahrt zum Freeway lauerte; und ein weiterer, der am Straßenrand hinter einem Fahrer anhielt, der resigniert auf den bevorstehenden Strafzettel wartete. Nachdem ich aus der Gefahrenzone entkommen war, achtete ich nicht nur peinlichst darauf, das Gesetz zu befolgen, sondern ich rang außerdem um ein Gefühl der Normalität, was immer das auch war. Das Risiko, das ich in Teddys Haus eingegangen war, hatte meine Wahrnehmung verändert. Ich hatte mich von der Realität gelöst und mich zugleich enger an sie gebunden, so dass mir das »wirkliche Leben« jetzt flau und seltsam glanzlos erschien. Polizisten, Rockstars, Soldaten und Berufskriminelle erleben alle die gleiche Verschiebung — den Sturz aus hochjauchzender Unbezwingbarkeit in unüberwindliche Mattigkeit — , weshalb sie auch dazu neigen, ihre Freizeit mit Leuten aus derselben Branche zu verbringen. Wer sonst könnte den Rauschzustand begreifen? Situationsbedingte Stimulantien beflügeln und putschen einen auf und lassen einen weit über den eigenen mickrigen Verstand hinaus abheben. Hinterher muss man sich mit Reden abreagieren, das Erlebte noch einmal durchmachen, bis die Spannung sich gelöst hat und alle Geschehnisse wieder ihr gewohntes Format annehmen. In mir wallte immer noch dieser Kick, und mein Blick flimmerte. Zu meiner Linken pulsierte der Pazifik. Die Seeluft wirkte so spröde wie eine Glasscheibe. Wie Feuerstein auf Fels erzeugte die spätmorgendliche Sonne auf den Wellen eine Reihe von Funken, bis ich schon fast erwartete, dass der gesamte Ozean in Flammen aufginge. Ich schaltete das Radio ein und suchte einen Sender mit dröhnender Musik. Dann kurbelte ich die Wagenfenster herunter und ließ mir vom Wind das Haar zerzausen.
    Sobald ich nach Hause kam, stellte ich den Pappkarton auf den Schreibtisch, zog die Quittung der Lagerfirma aus

Weitere Kostenlose Bücher