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Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer

Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer

Titel: Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Anfang der sechziger Jahre.«
    »Haben Sie ihn selbst eingestellt?«
    »Na klar. Er ist hier aufgewachsen, ein Blaublut aus der besten Gesellschaft: gutes Aussehen, Ehrgeiz und ein gigantisches Ego. Mehr Charisma als Charakter.« Sein Ellbogen rutschte vom Tresen, und mit einem Ruck, den wir beide ignorierten, fing er sich wieder. Geistig schien er voll auf der Höhe zu sein. Es war nur sein Körper, der immer wieder Ausfallerscheinungen zeigte.
    »Soll heißen?«
    »Ich will ja nicht schlecht über Tote reden, aber ich vermute, dass er seinen Zenit schnell überschritten hatte. Sie kennen bestimmt selbst solche Leute. In der Schule glänzen sie, aber danach kommt nicht mehr viel. Nicht, dass er nichts mehr geleistet hätte, aber eben nichts so Großartiges mehr. Er war ein Typ, der immer den Weg des geringsten Widerstands gegangen ist, der sich sozusagen seine Sporen nie verdient hat.«
    »Wo ist er aufs College gegangen?«
    »Nirgends. Duncan war kein stiller Gelehrter. Er war ein kluger Junge und hat gute Noten bekommen, aber akademische Weihen haben ihn nie interessiert. Er hatte Elan und Ziele. Er dachte sich, in der realen Welt würde er mehr lernen, und so hat er darauf verzichtet.«
    »Hatte er damit Recht?«
    »Schwer zu sagen. Der Junge war unheimlich umtriebig. Hat mich bequatscht, ihm fünfundsiebzig Dollar die Woche zu zahlen, die wir uns offen gestanden gar nicht leisten konnten. Selbst damals war sein Gehalt ein Witz, aber das war ihm egal.«
    »Weil er aus reichen Verhältnissen stammte?«
    »Genau. Revel Oaks, sein Vater, hat in der Sündenbranche ein Vermögen verdient — Whiskey und Tabak. Das und Immobilienspekulation. Duncan ist in privilegierter Umgebung aufgewachsen. Mann, sein Vater hätte ihm alles gegeben, was er wollte — Reisen, die besten Universitäten, eine Stellung im Familienbetrieb. Aber Duncan schwebte etwas anderes vor.«
    »Zum Beispiel?«
    Er fuhr mit seiner Zigarette durch die Luft. »Wie gesagt, er hat einen Job bei der Trib herausgeschunden, in erster Linie durch den Einfluss seines Vaters.«
    »Und was wollte er?«
    »Abenteuer, Anerkennung. Duncan war süchtig nach einem Leben am Abgrund. Er sehnte sich danach, im Rampenlicht zu stehen — und er suchte das Risiko. Er wollte nach Vietnam und über den Krieg berichten. Nichts konnte ihn befriedigen, bis er seinen Kopf durchgesetzt hatte.«
    »Aber warum hat er sich nicht als Freiwilliger gemeldet? Wenn er sich ein Leben am Abgrund gewünscht hat, warum ist er dann nicht zur Infanterie gegangen? Näher an den Abgrund kann man ja wohl kaum kommen.«
    »Die Armee hätte ihn nie genommen. Er hatte Herzgeräusche, die sich anhörten, wie wenn man Wasser durch einen Abfluss schüttet. Daraufhin ist er zu uns gekommen. Es war ausgeschlossen, dass die Trib ihm das Ticket nach Saigon hätte bezahlen können. Das kümmerte ihn nicht. Er hat es aus eigener Tasche bezahlt. Solange er nur vor Ort sein konnte, war er überglücklich. Damals sprach man von Leuten wie Neil Sheehan, David Halberstam, Mal Browne und Homer Bigart. Duncan malte sich schon aus, wie sein Name im ganzen Land über Artikeln stand. Er hat eine Reihe von Interviews mit frisch Verheirateten hier in der Stadt geführt, Soldatenfrauen, die allein zurückblieben, als ihre Männer in den Krieg zogen. Er hatte vor, dies weiter zu verfolgen, mit den Männern zu sprechen und die Kämpfe aus ihrer Sicht zu schildern.«
    »Keine schlechte Idee.«
    »Wir fanden sie recht viel versprechend, vor allem, nachdem so viele seiner Klassenkameraden eingezogen worden waren. Auf jeden Fall hat er seinen Presseausweis und seinen Pass bekommen. Dann ist er über Hongkong nach Saigon geflogen und von dort nach Pleiku. Eine Zeit lang ging es ihm blendend. Er hat sich von Militärtransporten mitnehmen lassen, ganz egal, wohin sie ihn brachten. Eines muss man ihm lassen: Er hätte ein sagenhafter Journalist werden können. Er hatte ein Gespür für Worte, wenn ihm auch die Erfahrung fehlte.«
    »Wie lang war er dort?«
    »Nur zwei Monate. Er hatte von Kämpfen an einem Ort namens la Drang gehört. Ich nehme an, er hat ein paar Beziehungen spielen lassen — womöglich wieder sein alter Herr oder sein persönlicher Charme. Es war eine höllische Schlacht; manche sagen, die schlimmste des ganzen Kriegs. Danach kam Landezone Albany: Etwa dreihundert Männer fanden innerhalb von vier Tagen den Tod. Er muss sich mitten im Gemetzel gefunden haben, ohne einen Ausweg. Später haben wir gehört, dass

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