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Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer

Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer

Titel: Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Gedenktafeln. Die Jahreszahlen 1914 und 1915 waren in den Stein gemeißelt und sollten, wie ich vermutete, den Zeitraum bezeichnen, in dem das Gebäude errichtet worden war. Ich stieß die Tür auf und ging hinein.
    Das Innere zeichnete sich durch graue Marmorverkleidungen und oberhalb davon grau gestrichene Wände aus. Der Fußboden in der Halle bestand aus gesprenkeltem grauem Marmor mit vereinzelten unerklärlichen Rissen. In der Aula, direkt vor mir, konnte ich abfallende hölzerne Sitzbänke und mehrere Ebenen hölzernen Fußbodens sehen, der vom Alter schon leicht aufgeworfen war. Es musste gerade Unterricht sein, da die Flure menschenleer und kaum jemand im Treppenhaus unterwegs war. Ich betrat das Sekretariat. Die Fenster waren hoch. Lange Leuchtstoffröhren hingen von der mit schalldämpfenden Fliesen verkleideten Decke. Ich erkundigte mich nach der Bibliothek und wurde in den zweiten Stock geschickt.
    Die Schulbibliothekarin Mrs. Calloway war eine robust wirkende Seele in einem wadenlangen Jeansrock und einem Paar unverwüstlicher Wanderschuhe. Ihr eisgraues Har war zu einer praktischen Kurzhaarfrisur gestutzt, die sie vermutlich schon seit Jahren trug. Sie stand kurz vor dem Rentenalter und sah aus wie eine Frau, die sich für Müsli, Yoga, Einreibemittel, Autoaufkleber für die Rettung der Wale, Schwimmen in Eislöchern und ausgiebige Fahrradtouren durch fremde Länder erwärmen konnte. Als ich sie bat, das Jahrbuch von 1961 einsehen zu dürfen, warf sie mir einen bezeichnenden Blick zu, verkniff sich jedoch jeden Kommentar. Sie reichte mir die erste Ausgabe, und ich setzte mich damit an einen freien Tisch. Sie kehrte an ihren Arbeitstisch zurück, doch ich sah ihr an, dass sie vorhatte, mich im Auge zu behalten.
    Ich brachte ein Weilchen damit zu, durch das Jahrbuch zu blättern und mir Schwarzweißfotos der Abschlussklasse anzusehen. Ich suchte nicht nach Duncans Namen, sondern ließ das Ganze auf mich wirken und versuchte, ein Gefühl für die damalige Zeit zu entwickeln, die mir um sechs Jahre voraus war.
    Die Schule war ursprünglich eine reine Jungenschule gewesen, hatte aber irgendwann begonnen, auch Mädchen aufzunehmen. Die Abschlussbilder zeigten die Jungen mit Jacketts und Krawatten, dazu Bürstenfrisuren, die ihre großen Ohren und merkwürdig geformten Köpfe betonten. Viele trugen Brillen mit dicken schwarzen Gestellen. Die Mädchen neigten überwiegend zu Kurzhaarfrisuren und dunkelgrauen oder schwarzen Pullovern mit Rundhalsausschnitt. Jede trug eine einreihige Perlenkette, vermutlich Modeschmuck, den der Fotograf der Einheitlichkeit halber verteilt hatte. 1967, in dem Jahr, als ich meinen Schulabschluss machte, waren auftoupierte Frisuren in Mode, die mit Haarspray so steif wie Perücken gemacht worden waren und aus denen unten kurze Außenrollen herausstachen. Die Jungen hatten sich alle in Elvis-Presley-Klone verwandelt. Auf den Klassenfotos hier trugen die meisten männlichen Schüler Slipper mit weißen Sportsocken, und die Mädchen steckten in Röcken mit oder ohne Falten, die genau bis zum Knie reichten.
    Ich überflog die Seiten über den Gute-Nachrichten-Club, den Rhetorik-Club, den Kunst-Club, den Pep-Club und den Schach-Club. Auf Bildern aus dem Unterricht in Werken, Hauswirtschaft und Erdkunde waren die Schüler in Grüppchen zu sehen, wie sie auf Landkarten zeigten oder sich lächelnd um den Lehrertisch scharten und eine interessierte Miene vortäuschten. Die Lehrer sahen allesamt aus wie Fünfundfünfzig und sterbenslangweilig.
    An Thanksgiving in jenem Jahr — also im Herbst 1960 — fand das alljährliche Match Male gegen Manual statt. Male siegte mit einem Endstand von 20 zu 6. »Male schlägt Manual 20:6 und sichert sich den City- und den AAA-Pokal«, hieß es in dem Artikel. »Eine klare, verdiente Niederlage der duPont Manual Rams.« Die jeweiligen Mannschaftskapitäne waren Walter Morris und Joe Blankenship. Die Rivalität zwischen den beiden Schulen war dauerhaft und heftig gewesen: Sie hatte 1893 begonnen und hielt zweifellos bis heute an. Damals konnte Male neununddreißig Siege für sich verbuchen, Manual neunzehn, und fünf Spiele waren unentschieden ausgegangen. Unten auf der Seite, auf dem Foto der Mannschaft von Manual, entdeckte ich einen Halfback namens Quintero mit einem Gewicht von vierundsiebzig Kilo.
    Ich blätterte zurück zur ersten Seite und fing noch einmal von vorne an. Duncan Oaks war auf einer Reihe von Fotos zu finden — dunkelhaarig und gut

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