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Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer

Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer

Titel: Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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zwischen die beiden gespannt worden. Die Lufttemperatur war ideal, etwas frisch und etwas feucht. Ich fühlte mich leicht und stark und lief mit einem seltenen Glücksgefühl.
    Wieder zu Hause angelangt, duschte ich, zog mich an und frühstückte. Dann stieg ich in mein Auto und machte mich auf den Weg nach San Felipe, die Quittung der Lagerfirma in der Tasche. Ich hatte mich ein bisschen fein gemacht, was aber bei mir nicht viel heißen will. Ich besitze nur ein einziges Kleid: schwarz, kragenlos, mit langen Ärmeln und einer gerafften Vorderpartie (auch nur ein hochgestochener Ausdruck für Oberteil). Dieses komplett synthetische Teil, das garantiert faltenfrei fällt (aber vermutlich leicht in Flammen aufgeht), ist das wandlungsfähigste Kleidungsstück, das ich je besessen habe. In ihm kann ich Einladungen zu sämtlichen Cocktailpartys — außer zu den allerprotzigsten — annehmen, als Trauergast einer Beerdigung beiwohnen, vor Gericht erscheinen, Personen überwachen, Klienten akquirieren, unwillige Zeugen befragen, mit überführten Kriminellen verhandeln oder mich als gut verdienende Angestellte ausgeben, anstatt die naseweise Freiberuflerin zu sein, die Blue Jeans, Rollkragenpullover und Tennisschuhe gewohnt ist.
    Bevor ich ging, hatte ich mir ein paar Minuten Zeit genommen, um ein allgemeines Antragsformular auszufüllen, das ich hatte mitgehen lassen, als ich noch bei der California Fidelity Insurance arbeitete. Während ich auf der 101 nach Süden fuhr, übte ich die pedantische bürokratische Art ein, die ich an den Tag lege, wenn ich als jemand anders posiere. Die Arbeit einer Privatdetektivin setzt sich zu gleichen Teilen aus Einfallsreichtum, Entschlossenheit und Hartnäckigkeit zusammen, gewürzt mit einer ordentlichen Dosis schauspielerischer Fähigkeiten.
    Die Fahrt nach San Felipe dauerte fünfundzwanzig Minuten. Die Landschaft bestand in erster Linie aus Plantagen mit Zitrusfrüchten und Avocados, Feldern mit Ackerbau und gelegentlichen Marktständen an der Straße, die natürlich Orangen, Zitronen und Avocados anboten. Ich erkannte die Lagerfirma schon aus achthundert Metern Entfernung. Sie lag nur ein kleines Stück von der Hauptstraße entfernt, bestand aus unzähligen Reihen zweistöckiger Gebäude und erstreckte sich über zwei quadratische Häuserblocks. Der architektonische Stil ließ an ein neu gebautes kalifornisches Gefängnis denken, einschließlich Flutlicht und hoher Maschendrahtzäune.
    Ich fuhr durchs Tor hinein. Die Gebäude waren alle identisch: Löschbeton und glatte Türen, dazu Lastenaufzüge und eine Laderampe an jedem Ende. Die Einheiten waren anhand eines für mich nicht ganz durchschaubaren Systems mit Buchstaben und Ziffern markiert. Die Türen in jedem Bereich schienen mit Farben gekennzeichnet zu sein, aber womöglich war das auch nur ein architektonisches Extra. Es konnte nicht viel Spaß machen, eine Gebäudegruppe zu entwerfen, die aussah wie hintereinander aufgereihte Keksschachteln. Ich kam an einer Reihe breiter Durchfahrtswege vorbei. Pfeile leiteten mich zum Hauptbüro, wo ich parkte und ausstieg.
    Ich stieß die Glastür auf und gelangte in einen funktionalen Raum von etwa sechs auf sechs Metern, in dessen Mitte ein Tresen stand. Die Fläche hinter dem Tresen wurde von branchentypischen Aktenschränken und einem einfachen hölzernen Schreibtisch eingenommen. Dies hier war keine hierarchisch geschichtete Firma, deren Verwaltung in luftigen Höhen saß. Der einzige anwesende Mitarbeiter fungierte offenbar als Rezeptionist, Sekretär und Geschäftsführer. Er saß mit einem Bleistift im Mund an einer Schreibmaschine und hackte sich im Suchsystem durch irgendeinen Schrieb. Ich schätzte ihn auf Ende siebzig. Er hatte ein rundes Gesicht, nur noch wenige Haare und trug eine Lesebrille, die ihm tief unten auf der Nase saß. Ich sah seinen Bauch hervorquellen wie ein Affenkind, das sich eng an seine Mutter klammert. »Ich komme gleich zu Ihnen«, sagte er und tippte weiter.
    »Lassen Sie sich Zeit.«
    »Wie schreibt man >schalckhafft’?«
    »S-c-h-a-l-k-h-a-f-t.«
    »Sind Sie sicher? Kommt mir nicht richtig vor.«
    »Ziemlich sicher«, erklärte ich.
    Als er fertig war, stand er auf, trennte Original und Durchschlag und steckte je eines in zwei identische blaue Aktendeckel. Er kam herüber an den Tresen und zog sich die Hose hoch. »Ich wollte Sie nicht warten lassen, aber ich war gerade so in Schwung«, sagte er. »Wenn nichts los ist, schreibe ich Geschichten für

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