Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer
besteht.«
»Verstehe«, sagte sie, als wäre dem nicht so.
»Können Sie mir sagen, was Mr. Magruder wollte?«
»Warum fragen Sie ihn nicht selbst?«
»Mr. Magruder wurde angeschossen und liegt momentan im Koma. Das ist alles, was ich Ihnen sagen kann, ohne wegen Missachtung des Gerichts belangt zu werden.«
Das schien zu helfen. »Er hat versucht, die Adresse eines ehemaligen Schülers unserer High School herauszufinden«, erklärte sie.
»Können Sie mir dessen Namen nennen?«
»Wie war noch mal Ihr Vorname?«
»Kathryn. Kennison. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen meine Nummer hier sagen, und Sie rufen mich zurück.«
»Ach, das ist doch albern. Sie könnten weiß Gott wer sein«, fauchte sie. »Bringen wir’s einfach hinter uns. Was wollen Sie denn genau wissen?«
»Alles, was Sie mir sagen können.«
»Der Name des Jungen war Duncan Oaks, Abschlussjahrgang 1961. Seine Klasse war herausragend. Wir sprechen heute noch über diesen Schülerjahrgang.«
»Sie waren also damals schon Schulbibliothekarin?«
»Ja. Ich arbeite seit 1946 hier.«
»Kannten Sie Duncan Oaks persönlich?«
»Jeder kannte Duncan. Er hat in seinem zweiten und seinem vorletzten Schuljahr als mein Assistent gearbeitet. In seinem letzten Jahr hat er die Fotos für das Jahrbuch gemacht, wurde zum Abschlussballkönig gewählt und als derjenige genannt, der mit der größten Wahrscheinlichkeit Karriere machen würde...«
»Klingt ja sagenhaft.«
»Das war er.«
»Und wo ist er jetzt?«
»Er wurde Journalist und Fotograf bei einer der Lokalzeitungen, der Louisville Tribune, die leider schon lange nicht mehr existiert. Er ist beim Einsatz in Vietnam ums Leben gekommen. Ein Jahr später, 1966, wurde die Trib von einem dieser Konzerne geschluckt. Und jetzt würde ich, ganz egal wer Sie sind und was Sie im Schilde führen, sagen, dass ich genug verraten habe.«
Ich dankte ihr und legte auf, nach wie vor völlig ratlos. Ich blieb sitzen, machte mir Notizen und benutzte die Füllerkappe, um mir die Erdnussbutter vom Gaumen zu kratzen. Ging es um die Suche nach einem Erben? Hatte Mickey einen Fall angenommen, um sein Einkommen aufzubessern? Selbstverständlich besaß er die nötigen Kenntnisse, um als Privatdetektiv zu arbeiten, aber worum genau ging es, und wer hatte ihn engagiert?
Ich hörte ein Klopfen an der Tür und beugte mich weit genug vor, um zu erkennen, wie Henry durch das Bullauge spähte. Ich bekam Schuldgefühle wegen des Vorabends. Henry und ich waren uns selten uneins. Ich hatte wirklich kein Recht dazu, der Polizei Informationen vorzuenthalten, die von Belang sein konnten. Ehrlich, ich würde mich bessern, da war ich mir fast sicher. Als ich die Tür öffnete, reichte er mir einen Stapel Umschläge. »Hab’ dir deine Post gebracht.«
»Henry, es tut mir Leid. Sei mir nicht böse«, sagte ich. Ich warf die Post auf den Tisch und umarmte ihn, während er mir den Rücken tätschelte.
»Meine Schuld«, sagte er.
»Nein, ist es nicht. Es ist meine. Du hast vollkommen Recht. Ich war stur.«
»Ist doch egal. Du weißt ja, dass ich mir Sorgen um dich mache. Was ist denn mit deiner Stimme los? Bekommst du eine Erkältung?«
»Ich habe gerade etwas gegessen, das ich nur schwer runterkriege. Ich rufe Detective Aldo heute noch an und sage ihm, was ich herausgefunden habe.«
»Mir wäre wohler, wenn du es tätest«, meinte er. »Störe ich? Wir können es auch ein andermal machen, wenn du gerade schwer beschäftigt bist.«
»Was ein andermal machen?«
»Du hast doch gesagt, du würdest mich fahren. Der Mann von der Werkstatt hat angerufen und gesagt, dass der Chevy fertig ist.«
»Entschuldige. Natürlich. Es hat ja lang genug gedauert. Ich hole nur schnell meine Jacke und die Schlüssel.«
Auf dem Weg zur Werkstatt brachte ich Henry auf den neuesten Stand, obwohl mir dabei unangenehmerweise bewusst war, dass ich nicht einmal jetzt ganz aufrichtig ihm gegenüber war. Ich log zwar nicht direkt, aber ich unterschlug Teile dessen, was ich wusste. »Ach, übrigens«, sagte ich, »hab ich dir schon von dem Anruf bei mir erzählt?«
»Von welchem Anruf?«
»Ich dachte mir schon, dass ich es nicht erwähnt habe. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.« Ich erzählte ihm die Geschichte von dem dreißigminütigen Anruf Ende März aus Mickeys Wohnung. »Ich schwöre, dass ich nie mit ihm gesprochen habe, aber ich habe den Detectives angemerkt, dass sie mir nicht geglaubt haben.«
»An welchem Tag war das?«
»Am
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