Kinsey Millhone 17 - Totenstille - Q wie Quittung
vorstellen, wie begeistert sie davon waren.«
»Muss schwer gewesen sein.«
»Ach, die haben alle möglichen Streitereien ausgefochten – Kabbeleien wegen Klamotten und Jungs. Die beiden haben sich beharkt wie streunende Katzen, haben gespuckt und gefaucht, bis die Fetzen geflogen sind. So was haben Sie noch nie gesehen. Justine wollte nicht, dass Charisse sich mit ihren Freunden trifft, und das habe ich ihr nachfühlen können. Charisse musste immer Theater machen. Immer ihren Kopf durchsetzen.«
»Also nicht besonders charmant, so wie sich’s anhört.«
»Sie konnte durchaus charmant sein, aber nur, wenn sie etwas wollte.«
»Und was war mit Ihrem Mann? Wo war der?«
»Na ja, theoretisch hat er hier gewohnt, aber er war die halbe Zeit nicht da.«
»Was hat er gearbeitet?« »Er war bei Sears bei den Großgeräten – Spülmaschinen, Kühlschränke und so was. Hat nachts, an Wochenenden und an jedem Feiertag gearbeitet. Hat nie irgendwas günstig für uns besorgt, aber das war typisch für ihn. Man hätte doch erwarten können, dass er mir wenigstens eine kleine Spülmaschine besorgt. Alles hab ich von Hand machen müssen. Wahrscheinlich sind meine Gelenke deswegen kaputt. Rückenschmerzen hab ich auch noch gekriegt.«
»Er ist also etwa zur gleichen Zeit verschwunden wie Charisse?«
»Ja, schon, aber so hab ich es noch nie gesehen.« Sie blickte mich finster an und zog an ihrer Zigarette. »Ich hoffe, Sie wollen nicht sagen, dass er mit ihr abgezischt ist.«
»Ich weiß nicht, aber es kommt mir seltsam vor. Wenn sie so hinter den Kerlen her war, warum dann nicht auch hinter ihm?«
»Unter anderem war er schon fast fünfzig. Und ich kann mir nicht vorstellen, warum er sich für ein Mädchen in ihrem Alter hätte interessieren sollen. Er hat sie nie besonders beachtet, soweit ich das mitgekriegt habe. Er ist ein Fiesling, das steht fest, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er dermaßen tief gesunken ist. Das wäre doch – wie heißt das? – Verführung Minderjähriger.«
»Hat er Ihnen irgendeine Erklärung gegeben, als er gegangen ist?«
Sie zog noch einmal an ihrer Zigarette. »Nein. Er ist eines Tages zur Arbeit gegangen und nicht wieder nach Hause gekommen. Aber jetzt fällt mir wieder ein, dass er vor Charisse verschwunden ist. Das weiß ich noch, weil er nämlich Justine nicht mehr in ihrem Abschlussballkleid gesehen hat, und das war am vierzehnten Juni.«
»Was haben Sie getan, als er Sie verlassen hat?« »Nichts. Weg ist weg.«
»Und was war mit Charisse? Haben Sie die Polizei verständigt, als Sie gemerkt haben, dass sie weg war?«
»Ich bin noch am selben Tag hingegangen. Zur Polizei und zum Sheriff. Ich habe ja Geld vom Bezirk für sie bekommen, und mir war klar, dass die Sozialarbeiterin sonst einen Anfall gekriegt hätte. Jedenfalls habe ich den Scheck für den nächsten Monat zurückschicken müssen, und nachdem Wilbur weg war, bin ich mit den Rechnungen in Rückstand geraten. Justine hat versucht, mir einzureden, dass es nicht Charisses Schuld war, aber das war typisch für Charisse. Sie ist vor nichts zurückgeschreckt, nur um andere reinzureiten.«
»Aber Sie haben eine Vermisstenanzeige aufgegeben?«
»Wie gesagt, noch am selben Tag, obwohl mir der Hilfssheriff keine großen Hoffnungen gemacht hat. Er hat rausgefunden, dass sie zuvor schon ein halbes Dutzend Mal abgehauen ist. Und nachdem ihr achtzehnter Geburtstag kurz bevorstand, wäre sie sowieso bald für sich selbst verantwortlich gewesen. Er hat gemeint, sie würden ihr Möglichstes tun, aber er hat mir keine großen Versprechungen gemacht. Im Prinzip hat er mir quasi geraten, nach Hause zu gehen und sie zu vergessen.«
»Und das haben Sie gemacht.«
»Was hätte ich denn sonst machen sollen? Ich wusste ja nicht mal, wie ihre Mutter heißt. Ich glaube, die Sozialarbeiterin hat die Mutter angerufen.«
»Sie glauben, dass sie wieder zu ihrer Mutter gegangen ist?«
»Weiß ich nicht und will ich auch nicht wissen. Nachdem Wilbur weg war, hatte ich alle Hände voll damit zu tun, finanziell über die Runden zu kommen. Und falls es Sie interessiert – ich habe nie wieder was von ihr gehört. Von ihm auch nicht. Soweit ich weiß, sind wir immer noch verheiratet, es sei denn, er ist tot. Das wäre was, oder?«
»Haben Sie Grund zu der Annahme, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte?«
»Ich will nur sagen, falls er noch lebt, hätte man doch erwarten können, dass er uns mal ‘ne Karte schreibt. Nach
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