Kinsey Millhone 17 - Totenstille - Q wie Quittung
sechsunddreißig Jahren Ehe ist das ja wohl das Mindeste.«
»Was ist mit Charisses Sozialarbeiterin? Wie hat die geheißen?«
»Weiß ich nicht mehr. Ist schon zu lange her. Tinker, Tailor – irgendwas in der Richtung. Ich habe sie angerufen und mit ihr gesprochen, und wissen Sie, was sie gesagt hat? Sie hat gesagt, sie hätte ohnehin nie damit gerechnet, dass die Regelung von Dauer wäre, weil Charisse dermaßen ätzend ist. Das waren zwar nicht genau ihre Worte, aber mehr oder weniger hat sie das gesagt. Ich hab mir gedacht, na, vielen Dank, jetzt reißt sie die Klappe auf, nach allem, was ich mitgemacht habe.«
»Es muss schrecklich für Sie gewesen sein.«
Sie hustete ein dickes Lachen in ihre Faust und hielt dann inne, um richtig zu husten. Anschließend trank sie einen Schluck wässrigen Bourbon und fing sich wieder. »Vor allem, als ich gemerkt habe, dass Wilbur sämtliche Bankkonten abgeräumt hat. Entschuldigen Sie, aber sind Sie dann hier fertig? Denn falls nicht, habe ich vor, mir noch einen Drink zu machen – vielleicht lindert das diesen Husten ein bisschen. Das war immer das Heilmittel meiner Mutter – Whiskey und Honig –, aber wenn Sie mich fragen, war es nicht der Honig, der geholfen hat.« »Nur noch ein paar Fragen, dann lasse ich Sie in Ruhe. Wie war Charisse denn unterwegs? Haben Sie irgendeine Ahnung?«
»Nicht mit dem Bus. Das weiß ich, weil das die Polizei nachgeprüft hat. Ich nehme an, sie hat sich von einem dieser Rowdys mitnehmen lassen, mit denen sie immer rumgehangen ist, seit sie auf die Lockaby gegangen ist.«
»Können Sie sich an irgendeinen Namen erinnern?«
»Ich hab den einen nicht vom anderen unterscheiden können. Die waren doch alle gleich – abgerissen aussehende Jungs mit schlechter Haut.«
»Haben Sie von dem Auto gehört, das hinten aus Ruels Werkstatt gestohlen worden ist?«
»Jeder hat davon gehört. Er war fuchsteufelswild.«
»Ist irgendwie denkbar, dass Charisse es genommen hat?«
»Das bezweifle ich. Sie konnte nicht Auto fahren. Hat nie die Prüfung gemacht. Ich habe angeboten, ihr mit dem Führerschein zu helfen, aber sie hat sich nie dazu aufgerafft. Angst vorm Durchfallen, wenn Sie mich fragen. Hat befürchtet, dass sie dann blamiert ist.«
»Wie hat sie sich denn fortbewegt, wenn sie nicht fahren konnte?«
»Hat Justine, Cornell und alle anderen angehauen, dass sie sie mitnehmen. Das war noch etwas, was den Leuten auf die Nerven gegangen ist: Sie war eine Schmarotzerin.«
»Hat sie gearbeitet?«
»Die? Dass ich nicht lache. Ich hab sie nicht mal dazu bringen können, ihr eigenes Zeug aufzuräumen.«
»Ich weiß, dass ich Sie das schon mal gefragt habe, aber wäre es irgendwie möglich, dass Ihnen wieder einfällt, an welchem Tag sie weggegangen ist?«
Medora schüttelte den Kopf. »Ich war einfach nur froh, dass sie weg war. Ein komisches Gefühl, wenn ich daran denke, dass sie seit all den Jahren tot ist. Ich hatte mir ausgemalt, sie wäre verheiratet und hätte Kinder. Das oder dass sie auf der Straße lebt. Möchte wissen, wer sie umgebracht hat.«
»Das versuchen wir ja herauszufinden. Haben Sie vielleicht zufällig ein Foto von ihr? Es würde mich interessieren, wie sie ausgesehen hat.«
»Ich nicht, aber Sie könnten Justine fragen.« Sie hielt inne und hustete erneut, diesmal derart heftig, dass ihr Tränen in die Augen stiegen. »Nicht auszuhalten. Mein Hals bringt mich um. Möchten Sie einen Drink?«
»Nein, danke.«
Ich sah zu, wie sich Medora Whiskey einschenkte. Ihre Hände zitterten dermaßen, dass sie das Glas kaum an die Lippen brachte. Sie schluckte voller Erleichterung und holte dann zweimal tief Luft. »Huu! Jetzt geht’s mir besser. Whiskey heilt einfach alles!«
»Tja, ich glaube, das war’s dann. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen für Ihre Hilfe bin.«
»Wollen Sie meine Meinung dazu hören, was mit ihr passiert ist? Sie hat es sich selbst eingebrockt.«
Ich ging bereits mit der Patchworkdecke über dem Arm von Medoras Haus auf Dolans Wagen zu, als ich bemerkte, dass ein Auto herangefahren war und nun am Straßenrand parkte. Die Tür an der Fahrerseite ging auf, und eine Frau stieg aus. Sie steckte ihre Schlüssel ein und war schon auf halbem Weg zum Haus, als sie mich sah und stehen blieb. Ihr Blick fiel auf die Decke und dann wieder auf mich. Das musste Justine sein. Sie und Medora hatten die gleiche Körperform und die gleichen blassen, fliegenden Haare. Obwohl ihre Gesichtszüge
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