Kinsey Millhone 17 - Totenstille - Q wie Quittung
Tasha.
»Es muss früher einmal sehr schön gewesen sein.«
Tasha wandte sich um und ließ den Blick durch die Halle und die Treppe hinauf wandern. »Du weißt sicher, dass Grand kurz nach Tante Ritas Tod ausgezogen ist.« Rita Cynthia Kinsey war der Mädchenname meiner Mutter.
»Das wusste ich nicht.«
»Großvater Kinsey war fuchsteufelswild, aber schließlich hat sie ihren Kopf durchgesetzt. Damals haben sie das Haus in der Stadt gekauft. Kannst du dich überhaupt noch an ihn erinnern?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Vielleicht finde ich ja ein paar Familienfotos.«
»Das wäre schön. Ich glaube, ich habe nie von irgendjemandem Bilder gesehen. Tante Gin hat Gefühlsregungen als wehleidiges Getue abgetan. Sie hat zu verhindern gewusst, dass eine von uns in solchen Abgründen versinkt.«
»Sie war ganz schön hart.«
»Allerdings.«
»Also. Ich geh jetzt lieber.«
»Ich auch«, sagte ich. »Eine Bitte habe ich noch. Ich weiß, dass du mit deiner Mutter schon über mich gesprochen hast, aber bitte zieh Grand nicht mit hinein.«
»Ich schweige wie ein Grab.«
Es war fünf nach halb fünf, als ich wieder in Santa Teresa ankam. Ich machte einen Abstecher zur Stadtbibliothek und brachte mein Auto in dem vierstöckigen Parkhaus daneben unter. Mein Gespräch mit Roxanne Faught hatte heikle Fragen aufgeworfen, wie zum Beispiel, was wusste sie und wann wusste sie es? Ich überlegte, ob es eine Möglichkeit gab, das herauszufinden. Und so trottete ich die mit Teppich belegten Stufen zum Zeitschriftensaal hinab und bat die zuständige Bibliothekarin um die Mikrofilme vom Santa Teresa Dispatch aus der Woche vom 3. August 1969. Da die Tote an jenem Sonntag gefunden worden war, schätzte ich, dass die Neuigkeit erst ein oder zwei Tage später in der Zeitung erschienen war. Mit der Filmdose in der Hand setzte ich mich vor das Gerät, zog den Streifen heraus und fädelte ihn unter der Linse ein, indem ich die Perforationslöcher einhängte. Ich drehte an der Handkurbel, bis der Streifen richtig transportiert wurde, drückte dann auf einen Knopf und sah zu, wie die Sonntagszeitung vorüber sauste. Meine Augen nahmen beim Überfliegen eine beträchtliche Informationsmenge auf. Ich überging den Sport- und den Wirtschaftsteil sowie die Kleinanzeigen. Hin und wieder drosselte ich das Tempo, um zu sehen, was los gewesen war. Die Ölpest vor der Küste von Santa Teresa währte schon 190 Tage. Im Kino liefen Funny Girl, Zum Teufel mit der Unschuld und Planet der Affen. Gerüchte besagten, dass Don Drysdale womöglich aufgrund einer hartnäckigen Verletzung seine vierzehnjährige Karriere als Pitcher beenden musste, und eine vollautomatische Waschmaschine von Westinghouse mit zwei Geschwindigkeiten war für 189,95 Dollar im Angebot.
Als ich bei der Montagszeitung anlangte, bremste ich ganz ab und sah sie Seite für Seite durch. Am Montag, dem 4. August, waren der Entdeckung der Leiche im Grayson Quarry bei Lompoc fünf Absätze in einer Spalte gewidmet. Con Dolan und Stacey Oliphant wurden beide namentlich genannt, doch gab es nur sehr wenig zu berichten. Am nächsten Tag, dem 5. August, fand ich unter einer Rubrik namens »North County Events« das zweite Häppchen. Mittlerweile war die Autopsie vorgenommen worden, und die Todesursache wurde genannt. In der Hoffnung, das Mädchen identifizieren zu können, wurden ihre immer gleichen körperlichen Eigenheiten angeführt – Haar-und Augenfarbe, Größe und Gewicht. Ich drehte die Spule weiter, über Mittwoch und Donnerstag derselben Woche hinaus. Die Donnerstagszeitung brachte eine kurze Anschlussmeldung mit den gleichen Angaben, die ich bereits in der ersten gelesen hatte. Beiden war eine kurze Beschreibung der Kleidung des Mädchens zu entnehmen, wobei die dunkelblaue Voile-Bluse und die Hose mit dem Margeritenmuster beschrieben wurden. Keiner der beiden Artikel nannte die Farbe der Hose. Ich wusste aus dem Polizeibericht, dass die Margeriten dunkelblau mit einem roten Tupfen in der Mitte waren und der Hintergrund weiß war, aber wenn man sich nur auf diese Angaben stützte, so lag die Annahme nahe, dass die Margeriten eben »margeritenfarben« waren, wie es Roxanne Faught so treffend formuliert hatte. Wenn ich ihre Gewissheit hinsichtlich des gespaltenen Ohrläppchens, der großen Füße, der breiten Handgelenke und der völlig abgekauten Nägel in Betracht zog, dann bezweifelte ich, dass das Mädchen, mit dem sie zu tun gehabt hatte, tatsächlich unsere Unbekannte war.
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