Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinsey Millhone 18 - Ausgespielt - R wie Rache

Kinsey Millhone 18 - Ausgespielt - R wie Rache

Titel: Kinsey Millhone 18 - Ausgespielt - R wie Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
Vom Netzwerk:
aufzubleiben, selbst wenn ich am nächsten Tag Schule hatte. Dann lagen wir jede in unserem Schlafzimmer und lasen Bücher, während es im Trailer so still war, dass ich sie umblättern hörte. Was ich daran liebte, war das berauschende Gefühl, dass wir gegen die Regeln verstießen. Ich wusste, dass »echte« Eltern eine derartige Freizügigkeit wohl kaum geduldet hätten, doch empfand ich es als kleine Entschädigung für mein verwaistes Dasein. Irgendwann schlief ich unweigerlich ein. Dann kam Tante Gin auf Zehenspitzen hereingeschlichen, nahm mir sacht das Buch aus den Händen und löschte das Licht. Wenn ich später aufwachte, war es um mich herum dunkel, und ich war zugedeckt. Seltsam, wie lange sich Erinnerungen halten, nachdem ein Leben erloschen ist.
    Gerade als die Straßenlampen angingen, hörte ich das Telefon klingeln. Ich stand schwerfällig auf, trottete in die Wohnung und griff nach dem Hörer. »’lo?«
    »Hier ist Cheney.«
    »Ah, hallo. Ich habe nicht mit dir gerechnet. Was gibt’s?«
    Im Hintergrund herrschte derartiger Lärm, dass ich mir die Hand aufs Ohr pressen musste, um ihn zu verstehen. »Was?«
    »Hast du schon zu Abend gegessen?«
    Ich hatte im Kino eine Tüte Popcorn verdrückt, doch ich fand, das zählte nicht. »Nicht direkt.«
    »Gut. Ich bin in zwei Minuten da, dann gehen wir was essen.«
    »Wo bist du denn?«
    »Bei Rosie. Ich dachte, du wärst hier, aber da habe ich mich schon wieder getäuscht.«
    »Vielleicht bin ich doch nicht so berechenbar, wie du geglaubt hast.«
    »Das bezweifle ich. Hast du ein Sommerkleid?«
    »Nein, das nicht, aber ich habe einen Rock.«
    »Zieh ihn an. Ich bin’s leid, dich in Jeans zu sehen.«
    Nachdem er aufgelegt hatte, stand ich da und starrte das Telefon an. Eine seltsame Entwicklung. Das Abendessen klang ganz nach einer privaten Verabredung, es sei denn, er hatte von Vince Turner etwas über die Besprechung in der nächsten Woche gehört. Aber warum sollte ich einen Rock anziehen, um Informationen dieser Art entgegenzunehmen?
    Langsam stieg ich die Wendeltreppe hinauf und überlegte, was ich zu dem Rock anziehen sollte. Ich setzte mich aufs Bett, streifte die Turnschuhe ab und zog die verschwitzten Klamotten aus, ehe ich duschte und mich in ein Handtuch wickelte. Als ich den Schrank aufmachte, entdeckte ich meinen braunen Popelinerock. Ich nahm ihn vom Kleiderbügel und strich die Falten glatt. Dann zog ich frische Unterwäsche an und stieg in den Rock, wobei mir auffiel, dass der Saum kurz überm Knie endete. In der Kommode durchwühlte ich einen Stapel T-Shirts und wählte ein rotes mit Trägern aus, das ich mir über den Kopf zog und in den Rockbund stopfte. Nachdem ich noch ein Paar Sandalen angezogen hatte, ging ich ins Bad zurück und putzte mir die Zähne. Das alles war meine Art, Zeit zu schinden, bis ich wusste, was ich empfand.
    Vor dem Waschbecken stehend studierte ich mein Spiegelbild. Warum musste ich immer zwanghaft in den Spiegel starren, wenn Cheney anrief und sein Kommen ankündigte? Ich machte die Hände nass und fuhr mir durchs Haar, um es in Form zu bringen. Augen-Make-up? Nee. Lippenstift? Eher nicht. Das würde übertrieben wirken, wenn es wirklich um die Finanzgeschichte ging. Ich beugte mich näher zum Spiegel. Na gut, nur einen Hauch Farbe. Konnte nicht schaden. Ich entschied mich für Kompaktpuder, einen schnellen Tupfer Lidschatten, Wimperntusche und korallenroten Lippenstift, den ich auftrug und wieder abwischte, so dass meine Lippen leicht rosa blieben. Sehen Sie? Das ist der Nachteil von Beziehungen zu Männern – man wird narzisstisch und ist besessen von »Schönheitsfragen«, die einem normalerweise schnurzegal wären.
    Ich machte das Licht aus, trabte nach unten und schnappte mir meine Umhängetasche. Im Wohnzimmer ließ ich eine Lampe brennen, ehe ich die Tür hinter mir schloss und das Haus verließ. Cheney wartete bereits in seinem kleinen roten Mercedes am Straßenrand. Er lehnte sich über den Sitz und öffnete mir die Tür. Der Mann war eine richtige Modepuppe. Er hatte sich schon wieder umgezogen. Nun trug er dunkle italienische Slipper, eine sandgewaschene Seidenhose in einem dunklen Graubraun und ein weißes Leinenhemd mit aufgekrempelten Ärmeln. Rasch musterte er mich von Kopf bis Fuß. »Du siehst gut aus.«
    »Danke. Du auch.«
    Er lächelte verhalten. »Schön, dass wir das geklärt haben.«
    »Finde ich auch.«
    Er bog an der Ecke rechts ab und fuhr auf den Cabana Boulevard, dem er nach links

Weitere Kostenlose Bücher