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Kiosk

Kiosk

Titel: Kiosk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Werz
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tut. Sie kann ihn fast wieder riechen, würziger, kahl gestreichelter Pelz. Er hat ein bißchen nach Maggi geschmeckt, an den Ohren. Stammte noch von ihrer Mutter und hatte Stroh im Bauch und ein Sprechwerk, war sicher mal teuer gewesen, den Knopf hatte er noch im Ohr, das gelbe Schildchen hatte die Mutter schon abgekaut, als sie selber ein kleines Mädchen war.
    Im Strohbauch haben später Motten genistet, vor fünzehn Jahren mußte Karla ihn wegschmeißen. Ging nur in einer Schuhschachtel, einfach in die Mülltonne war unmöglich. Und den wollte sie als Kind verkaufen? Muß ein Spiel gewesen sein. Sie weiß nur, daß sie oft verkaufen gespielt hat. »Komm da jetzt weg.« Die Stimme ihrer Mutter.
    Kurz darauf sitzt sie oben in der winzigen Küche über dem Büdchen. Eigentlich nur eine Kochecke, mit einem grauen Vorhang. Darauf fahren Gondeln spazieren, und Strohhüte fliegen mit flatternden roten Bändern durch die Luft. Die Mutter steht davor und bügelt. Alle ihre Kinderkleidchen, sogar die Unterhosen. Sie faltet sie und drückt noch einmal das Eisen darauf. Der Stapel wächst, es riecht nach heißem Wasserdampf und Stoff. Die Mutter sprüht die Wäsche aus einem blauen Plastikfläschchen ein, fährt eisern stumm mit dem Bügeleisen darüber. Nur das Zischen ist zu hören. Im Haar trägt sie grüne, pelzige Lockenwickler, die wie kleine Raketengeschosse aussehen. Ab und zu packt sie einen Stapel gebügelter Kleidung in eine große braune Tasche, die unter dem Bügelbrett steht. Sie haßt die Hausarbeit ebenso gründlich, wie sie sie verrichtet.
    Karla sitzt an einem Tisch mit schwarzweißkarierter Platte und malt den Zwerg Hutzliputzli. Hutzliputzli fährt Roller. Hutzliputzli am Büdchen. Hutzliputzli sieht die Sonne. Gelb ist abgebrochen, die Sonne wird lila.
    »Mama, warum packst du die Tasche?«
    »Wir verreisen.«
    »Wohin?«
    »Weit weg.«
    »Kommt der Papa auch mit dahin?« Das hat sie tatsächlich gefragt, dabei wußte sie schon alles, viel mehr als heute. Was Kinder so alles begreifen, merkt man an Nikita. Die Verblödung setzt später ein. Karla fuhrt das Glas an den Mund, läßt die Kohlensäure auf ihren Lippen prickeln, trinkt aber nicht.
    Papa ist nicht mitgekommen. Er hat nicht mal Tschüs gesagt. Das Taxi stand schon vor der Tür, ihre Mutter hatte ein preußisches Organisationstalent.
    »Noch eins?« Der Wirt schnappt ihr das Glas einfach vor der Nase weg, dabei war noch ein Schluck drin, sehr warm allerdings. »Ein halbes«, sagt Karla.
    »Haben wir nicht. Was soll ich denn dafür nehmen? Neunzig Pfennig vielleicht? Sie machen mir Spaß.«
    »Für mehr langt’s wohl nicht«, mischt sich in Karlas Rücken eine Stimme ein. Sie dreht sich nicht um, Kwiatkowskis zornigen Spott erkennt sie auch so.
    »Wenn der Kerl eins will, geben Sie ihm auch eins«, sagt sie zum Wirt. »Der kann’s brauchen.«
    »Sie zahlen?« fragt Kwiatkowski.
    »Ja, verdammt.« Er stellt sich neben sie und den Chanukkaleuchter auf den Tresen.
    Karla betrachtet ihn kurz. »Was ist das denn?«
    »Nichts, was Sie interessieren könnte.«
    »Mich interessieren eine Menge Dinge, von denen Sie nichts wissen.« Wagner zum Beispiel. Als sie kürzlich beim Antiquar in der Dachwohnung war, hat sie sofort bemerkt, daß er die Platte gespielt haben muß, an jenem ersten Abend, nicht Kwiatkowski. Wagner. Das hat den Bann gebrochen, vorher hatte sie sich nicht recht rangetraut an die Bude. Der Kiosk war ihr so fremd geworden. Und überhaupt, was suchte sie da? Heimatgefühle. Die Musik lockte, weil sie die aus ferner Kindheit kennt. Der Antiquar, Onkel Kalle-Ho, hat damals manchmal die Wagnerplatten gespielt, zu Weihnachten. Kalle-Ho hat er geheißen, weil er immer »HO« gerufen hat, wenn er sie hochwarf. »Du machst dem Kind ja angst, laß sie los«, mischt sich die Mutter ein.
    »Mich interessieren auch eine Menge Dinge«, unterbricht Kwiatkowski ihre Erinnerungen. »Zum Beispiel, wie Sie sich das mit der Erbschaft vorstellen?«
    Karla dreht langsam den Kopf zu ihm hin, sieht, daß er ihr Feind ist, konnte sie nie leiden, von Anfang an nicht.
    »Mit der was?« fragt sie endlich.
    »Mit dem Kiosk. Sie können doch nicht einfach hier aufkreuzen und plötzlich alles für sich beanspruchen.« Karla muß den Satz lange nachklingen lassen, bevor sie ihn begreift.
    »Wer, wer sagt das denn?«
    Kwiatkowski bewegt einen Schluck Kölsch in seinem Mund hin und her, drückt ihn die Kehle herab. »Alle sagen das. Wir haben eben darüber gesprochen.

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