Kirchweihmord
offen, doch nicht der kleinste Lufthauch fand herein.
Gegen zwei stand Katinka auf und kochte sich einen Espresso. Sie stellte die Caffetiera auf den Herd und suchte sich eines der kleinen Tässchen heraus, die sie Tom zu seinem letzten Geburtstag geschenkt hatte. Tom wüsste womöglich, wie man an die Identität eines E-Mail-Kunden kommen würde. Lola als Nutzername und tin.it als Serveradresse. Klang ganz nach Italien. Katinka kicherte. Wie langsam die Mühlen in ihrem Gehirn ansprangen. Der Espresso brodelte. Sie streute Zucker in einen Topf, schöpfte die ersten wenigen Löffel der heißen Flüssigkeit ab und begann, temperamentvoll eine Crema zu rühren. Lola, ein italienischer Server, mediterranes Wetter und italienische Fröhlichkeit. Sie stellte sich mit ihrer Tazzina ans Fenster und betrachtete die stille Straße. Die Pizzeria hatte zu, alles lag ruhig. In fast allen Wohnungen standen die Fenster offen. Niemand würde schlafen können. Tom hatte kurz vor seiner Abreise versucht, einen Ventilator zu kaufen, aber in der ganzen Stadt war keiner mehr zu haben.
Der Espresso belebte Katinkas Energien. Sie tappte barfuß zu Toms Computer und schaltete ihn ein. Ihr Freund hatte ihr freundlicherweise Kennung und Passwort verraten. Katinka klickte sich ins Internet. Dann griff sie kurz entschlossen nach dem Telefonhörer und wählte Toms Nummer in Prag.
»Hallo?«
Er hörte sich völlig verschlafen an, und Katinka spürte heftige Gewissensbisse aufflammen.
»Tom, ich bin’s.«
»Katinka!« Er schien sich hochzurappeln. »Ist was passiert? Irgendwas mit dem neuen Fall?«
Er ist so süß, dachte Katinka. Macht sich permanent Sorgen. Irgendwie hinterließ der Gedanke, der sie zuerst warm umspült hatte, einen schalen Nachgeschmack.
»Ich brauche deinen professionellen Ratschlag«, sagte Katinka. Sie bemerkte, dass sie leise sprach, obwohl sie niemanden stören konnte. »Kannst du die Identität einer Person hinter ihrer E-Mail-Adresse herausfinden?«
»Spinnst du? Ich bin Programmierer und kein Hacker.«
Tom wurde hörbar wütend. »Ich weiß ja nicht, wie du den Abend verbracht hast, aber ich muss morgen um halb acht an der Kiste sitzen und arbeiten, und dazu brauche ich verdammt noch mal meinen Schlaf.«
»Niemand kann schlafen«, sagte Katinka ruhig. »Es ist glutheiß. Ganz Europa liegt sozusagen auf dem Grill.«
»Ich habe eine Klimaanlage. Gute Nacht.«
Er legte auf. Das Klick tat Katinka weh. Sie stand auf und goss sich noch einen Espresso ein. Also musste sie forsch ans Werk gehen. Sie rief ihr eigenes Mailprogramm auf und tippte eine Mail an Lola. Mittendrin hielt sie inne. War es geschickt, Lola mit ihrer persönlichen Adresse zu schreiben? Katinka ließ die Tazzina auf der Untertasse Karussell fahren. Sie könnte nur für diesen Zweck eine neue E-Mail-Adresse anlegen. Als verdeckte Ermittlerin quasi, dachte Katinka und musste lachen. Sie streckte Toms Fotografie die Zunge heraus und grinste. Das war die Chance, ihrem ungeliebten Ex-Nachbarn Beinert einen gemeinen Streich zu spielen. Schnell richtete sie für den ahnungslosen Mittfünfziger ein E-Mail-Konto ein. Als Nutzernamen wählte sie Espresso . Sie kicherte, als sie das Passwort bestätigte. Dann klickte sie sich über die gefakte Kennung ins Programm und schrieb eine Mail an Lola:
Hallo Lola,
in Kürze fahre ich nach Italien. Könnten wir zusammen reisen? Ich würde mich freuen.
Gruß,
Heike
Befriedigt fuhr sie den Computer herunter und stand auf. Lange lehnte sie sich auf die Fensterbank und blickte auf den Synagogenplatz. Als sie endlich ins Bett ging, war es drei Uhr.
Katinka stöhnte. Sie war sich nicht im Klaren, woher der schrille Ton kam, der ihr ins Ohr schnitt. Es konnte keine Stunde her sein, dass sie eingeschlafen war. Draußen allerdings schien die Sonne von einem dunstig-blauen Himmel, und die Hitze flirrte zwischen den Häusern. Es war halb elf.
»Palfy?«, rief sie außer Atem ins Telefon.
»Erklären Sie mir, wie es kommt, dass Sie E-Mails an eine Tote absetzen, noch dazu unter falschem Namen?«
Der Hauptkommissar. Aus irgendeinem Grund rutschte Katinka das Herz bis zu den Zehenspitzen. Da war letzte Nacht etwas gewesen. Sie versuchte, sich zu erinnern, aber der dumpfe Biergeschmack in ihrem Mund und die Müdigkeit in den Knochen dämpften ihre Erinnerung.
»Ähm, können Sie konkreter werden?«
»Das ist nicht witzig, Katinka!«, röhrte Uttenreuther. Oje, er nannte sie beim Vornamen. Das bedeutete
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