Kirchweihmord
einen ausgedehnten Spaziergang durch den Hain. Es war halbwegs kühl da. Gegen Mitternacht lieferte ich Elke in ihrer Wohnung ab und kam dann direkt hierher.«
»Welchen Eindruck haben Sie denn von Antonella? Ich meine, menschlich?«
Sie beobachtete die Buden unten am Fluss. In wenigen Stunden würde der Startschuss gegeben. Die Ruhe vor dem Sturm, dachte Katinka.
»Ich fand sie sehr sympathisch. Ich habe diese Wohnung über die Mitwohnzentrale gefunden, das mache ich jedes Jahr so. Antonella ist quasi meine Untermieterin. Gewesen. Und«, Mette zögerte, »ich hatte wirklich nicht den Eindruck, dass sie lesbisch wäre. Sie hat sich nie so … verhalten.«
Katinka seufzte und fragte sich, welche Art Verhalten Mette von einer lesbischen Mitbewohnerin erwartet hatte. Dass sie sie unverzüglich anmachte?
Mette dachte nach. »Wissen Sie, ich habe schon mit chaotischen Leuten zusammen gewohnt, die mein Essen gegessen haben, eine hat sich sogar an meinen BHs bedient.«
Katinka verkniff sich ein Lachen.
»Antonella war zurückhaltend, rücksichtsvoll, hat das Bad sauber hinterlassen … So richtig intensiv über Gott und die Welt haben wir uns nicht unterhalten. Dazu war ihr Deutsch zu schlecht, und ich kann kein Italienisch.«
»Dafür ist Ihr Deutsch umso besser«, sagte Katinka und schenkte Mette ein strahlendes Lächeln. »Wie lange werden Sie noch bleiben?«
»Ich wollte nächsten Dienstag, nach der Sandkirchweih, heimfahren. Bis dahin habe ich die Wohnung. Aber mir ist die Lust vergangen. Die Polizei will mich allerdings noch in der Nähe haben …«
»Machen Sie sich keine Sorgen, das sind Formalitäten«, erwiderte Katinka. Was Mette ihr erzählt hatte, klang plausibel. Es gab immer wieder zufällige Wohnbekanntschaften, die nichts bedeuteten. Die sich auflösten, sobald Deutschkurs oder Ferien zu Ende waren. Welches Motiv sollte Mette haben, ihre Mitbewohnerin umzubringen? Bis 24 Uhr hatte sie außerdem ein Alibi. Katinka ärgerte sich. Uttenreuther musste ihr mehr Informationen geben, zum Beispiel über den Todeszeitpunkt und die genaue Todesursache. Wo war Antonella in den Fluss gestoßen worden? Alles das wusste sie nicht.
»Danke für den Saft, Frau Moldrup, und dass Sie mir alles erzählt haben. Wenn Ihnen noch was einfällt, rufen Sie mich an. Das Handy ist Tag und Nacht eingeschaltet.«
Man kann alles gewinnen oder alles verlieren
Wie bin ich, frage ich mich? Woraus bin ich gemacht? Den Sinn des Lebens in sich selbst zu finden, das ist die Kunst. Ihn nicht in den endlosen Aktivitäten und Verpflichtungen mehr zu suchen. Das musste ich lernen. Einige Tage habe ich mich nicht mehr von der allgemeinen Unruhe ablenken lassen. Ich habe mein Inneres befragt, um eine Vorstellung von meinen Beweggründen zu bekommen. Was will ich gewinnen? Es geht natürlich nicht um Materielles. Ich will etwas fühlen, das wirkliche Leben. Ich lasse mich nicht mehr manipulieren von der Meinung anderer. Ich habe meine Messlatten immer hoch angelegt und viel von mir gefordert. Stets stand ich auf der Gewinnerseite. Was ich dafür verloren habe, war Freiheit, aber vor allem Selbstachtung. Meine Hoffnungen auf ein gleichberechtigtes Leben sind im Sande verlaufen. Ich suche daher nach dem Gewinn an anderer Stelle. Dazu gehe ich ins Extrem. Ich will, wenn ich schon etwas riskiere, den größtmöglichen Gewinn. Sollte ich alles verlieren, stehe ich im Einklang mit meinen Überzeugungen. Dann verzichte ich notfalls auf die Gleichberechtigung. Größtmöglicher Gewinn fordert größtmögliches Risiko. Darin ist der Verlust schon angelegt. Natürlich bin ich nicht so blöd, es einfach drauf ankommen zu lassen. Meine Vorbereitungen sind immer akribisch genau. Ich schaffe ein Modell und erprobe es.
Ich kann alles gewinnen oder alles verlieren.
7. Deutschkurs
Es war kurz vor eins. Katinka radelte in die Königsstraße. Vor den Unterrichtsräumen der Sprachschule standen ein paar Leute herum. Sie fragte nach Fiona, Oreste oder Gervais. Eine mollige Frau mit dickem, leuchtend rotem Haar kam zu ihr herüber.
»Ich bin Fiona Waltman«, sagte sie.
»Katinka Palfy«, sagte Katinka. Sie schüttelten sich die Hände. Fionas Haut war hell wie Glas. Ein ganzer Schwarm Sommersprossen hatte es sich in ihrem Gesicht bequem gemacht. Sie lächelte fröhlich.
»Ich bin Privatdetektivin«, sagte Katinka, während sie beide langsam die Königsstraße entlanggingen. Katinka schob ihr Rad.
»Privat – what? Sorry, mein Deutsch ist nicht
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