Kirchwies
mit der Bibel unterm Arm zum Pfarrhaus und wählte Camparis Nummer. Zuerst das Handy, dann das Festnetz. Keine Antwort.
»Scheiße!«, fluchte Timo.
Er erschrak über sich selbst und sein Tun. Vor dem Mini-Jesus im Arbeitszimmer bekreuzigte er sich und bat um Vergebung. Außerdem nahm er sich vor, zwanzig Euro in die Gemeindekasse zu spenden. Den Kirchwieser Bußgeldtarif für Fluchen in der Öffentlichkeit.
»Um Goddswillen!« Fanny stand breitbeinig unter der Tür.
»Ja, Schwester, den Schmerz kann ich dir nachfühlen.«
»Nein, des mein i ned. Aber der Wang Ming macht gleich zu. Was möchtest du zum Abendessen?«
dreizehn
Wang Ming stand schon auf der autofreien Dorfstraße vor seinem Kramerladen. Er hatte die Hände hinterm Rücken verschränkt. Die schmalen Äuglein leuchteten auf, als er die »Pfallhaushältelin helanlahmen« sah. Sein rundes Gesicht war zusammengezuckt vor der ernsten Entschlossenheit, mit der die Frau ihm entgegensah.
»I glab, i bin Ihnen an Haufen Geld schuldig«, rief sie ihm schon von Weitem entgegen. Das »l« war unverkennbar fränkisch.
Wang Mings Gebiss blitzte. Es drückte Anerkennung aus. Viele Menschen aus dem Dorf ließen bei ihm anschreiben. Doch die Pfallhaushältelin schoss den absoluten Bock ab.
»Als ob die Kilche kein Geld hätte«, murmelte er. Er befeuchtete die trockenen Lippen mit der Zunge und suchte nach Wörtern ohne »R«.
»Was geschah da bloß ein Staub in dem Tempel?«, fragte er besorgt.
»Ach, i hab’s doch immer scho gsachd. Der Glockendurm wird eines Tages einstürzen. Bald ist’s so weit. Fast hätt’s mich derbröselt.«
Auch ihr »A« war klar erkennbar fränkisch.
»Etzatla brauch i was zum Essen für mein Bruder und für mi.« Kurz vor Wang Ming machte sie halt und streckte ihm zwei Scheine entgegen. »Aber zuvor will i zahln.« Ihre Zunge hatte Mühe, in die Ecke hinter die Zahnreihen zu kommen, um ein vorbildliches fränkisches »l« zu platzieren. Doch es gelang.
Diese Art einer Geschäftseröffnung war dem Chinesen neu. Er nickte bedächtig und war gespannt, was für eine Nummer die Alte diesmal abziehen würde. Drüben in der Kirche quoll der Staub aus allen Ritzen. Es roch nach Abrissbirne.
Es waren zwei Zehner. Wang Ming hätte aber etwas mehr als zwei Fünfziger benötigt, um die kirchliche Schuldenlast zu tilgen. »Das langt nicht«, sagte er.
»Ogottogottogottogott«, klagte die Frau. »Mehrer hab i ned. Dann krieg i nix mehr für heut Abend?«
Wang Ming wiegte den Kopf und tat so, als überlegte er. »Weiß der Campali schon Bescheid?«, fragte er.
»Worüber?«
»Na. Wegen dem Steinfall in dem Tempel offensichtlich.« Lieber falsche Glammatik als ein »l«.
»I glaub ned«, sagte die Fanny kleinlaut.
Der Dorfkramer bog den Kopf zurück und betonte: »Essen? Ausnahmsweise. Wenn in dem Tempel die Teufel zuschlagen, müssen Sie Essen haben. Kommen Sie in meinen Laden. Was wünschen Sie?«
Fanny war grad mit dem Kartoffelschälen fertig, als Campari auf dem Radl ankam. Das Unglück in der Kirche war ihm zugetragen worden.
Das Wasser kochte, Fanny warf die Kartoffeln hinein. Sie häckselte Petersilie klein, knetete das Hackfleisch, ein Ei und Semmelbrösel tüchtig zusammen, würzte die Masse und mischte die Petersilie darunter. Dann formte sie das Fleisch mit den Händen zu fünf Fleischpflanzln. Anderswo Hamburger genannt, hatte sich das noch nicht bis Kirchwies durchgesprochen. Hier waren es wie eh und je einfach Fleischpflanzl, die der Herr Bruder so gern mochte. Schwein und Rind. Es war der Restbestand von Wang Mings Fleischvorräten gewesen. Zu den Pflanzln gab’s Pellkartoffeln und Salat aus dem eigenen Pfarrgarten. Dass würde dem Herrn Bruder schmecken. Wenn er nur schon da wäre.
Nachdem sich Campari in Pater Timos Beisein die Bescherung angeschaut hatte, fällte er widerwillig eine Entscheidung. Die Feuerwehr musste her!
»Da sehen Sie, wie recht ich hatte«, beschwerte sich der Pater. »Wir müssen den kaputten Glockenturm endlich restaurieren. Instand gesetzt gehört er schon lange. Und Sie, Bürgermeister, müssen endlich die Mittel dafür freigeben. Bis heute haben Sie noch nicht einmal dem Antrag stattgegeben. Wenn Sie gehandelt hätten, wäre das jetzt nicht passiert.«
»Hallo, Timo, wo bleibst du?«
Keine Antwort. Schnell lief Fanny zur Kirche hinüber. Sie fand ihren Bruder mit zuckenden Schultern in einer abziehenden Staubwolke unter dem Kruzifix an der Südwand. Sein Gesicht hatte er mit den
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