Kirschroter Sommer (German Edition)
einfachen Kuss auf die Wange mit deinem Mustang fahren lassen?«
»Ich würde dich auch ohne den Kuss fahren lassen«, sagte er.
»Aber?«
»Nichts aber. Ich erwarte keine Gegenleistung«, antwortete er. »Nur falls ich dir damit eine Freude machen kann und du mir auch eine machen willst … Dann weißt du wie.«
Das war wirklich süß … Und gleichzeitig ungeheuer gemein!
»Ich dir oder du mir?«, fragte ich fürs Protokoll.
Er überlegte kurz. »Ich dir … Ist das ein Ja?«
Ich seufzte. »Nein, das ist ein: Ich denke darüber nach.«
Weswegen war ihm ein blöder Kuss nur so viel wert? Ich verstand ihn einfach nicht. Aber weil ich mir heute Nacht ohnehin mehr als genug Gedanken über ihn machen würde, schob ich es für den Moment beiseite und konzentrierte mich auf den Mustang. Ich startete den Motor, der sich sofort mit einem lauten Grölen bei mir bedankte. Dann legte ich den ersten Gang ein und drückte behutsam auf das Gaspedal. Schließlich musste Elyas‘ Herz noch die ganze Fahrt durchhalten.
Schon nach wenigen Metern war ich wieder voll in meinem Element. Das Blut rauschte durch meine Adern wie der Mustang durch die Nacht. Meine Hände umschlossen fest das Lenkrad und meine Muskeln schienen bei der leisesten Beschleunigung zu zucken. Es war, als gehörten die Straßen Berlins nur mir allein.
Elyas verhielt sich zunächst genauso wie bei unserer ersten Spritztour. Man konnte nur hoffen, dass der Abdruck seiner Fingernägel nicht für die Ewigkeit das teure Leder zieren würde. Aber die Chancen standen eher schlecht. Als wir jedoch auf halber Strecke waren, wendete sich das Blatt. Elyas ließ von dem Sitz ab und legte seine Hände auf den Schoß. Nur bei scharfen Kurven krallten sie sich noch in seine Oberschenkel und auch die japsenden Geräusche aus seiner Richtung nahmen merklich ab.
»Versuch mal, mit ein bisschen mehr Gefühl zu schalten.«
Ich blickte zu Elyas; das war seit langem sein erster Satz. »Wie bitte?«
»Du schaltest zu hart«, sagte er. »Schau wieder auf die Straße und hör genau auf das Motorengeräusch.«
Ich folgte seiner Anweisung und lauschte.
»Jetzt tritt millimeterweise das Gaspedal durch. Aber wirklich nur ganz langsam.«
Mein Fuß drückte auf das Pedal, genau wie er gesagt hatte. Elyas lehnte sich zurück und schloss die Augen. »Hörst du?«, fragte er. »Man spürt, ab wann der Motor überdreht und du schalten musst. Nämlich genau … jetzt.«
Ich drückte die Kupplung durch und schaltete in den nächst höheren Gang.
»Siehst du? Und jetzt achte mal selbst drauf.«
Ich konzentrierte mich allein auf das Geräusch. »Jetzt?«
»Warte noch … Jetzt .«
Und tatsächlich, der Motor klang viel weicher und ruckelte nicht mehr.
»Da vorne kommt eine längliche Kurve. Schalt runter in den dritten Gang.«
Ich folgte seinen Worten und legte den besagten Gang ein.
»Argh«, machte er und verzog das Gesicht. »Kannst du mir mal erklären, was das Getriebe der Frauenwelt angetan hat?«
»Du hast doch gesagt, ich soll runterschalten.«
»Ja, aber mit Gefühl.«
»Hab ich doch.«
»Nein, hast du nicht. Fahr die Kurve zu Ende und ich zeig dir, was ich meine.«
Kaum wurde die Straße wieder gerade, legte Elyas seine Hand über meine auf den Schaltknüppel. »So, jetzt gib wieder mehr Gas.« Der Tacho stieg an, und als der Motor kurz vorm Überdrehen war, übte Elyas leichten Druck auf meine Hand aus und schaltete, nachdem ich die Kupplung getreten hatte, in den vierten Gang. Viel fließender, als ich es getan hätte; das merkte ich nun ganz deutlich. Lächelnd blickte ich zu Elyas.
»Hast du den Unterschied gefühlt?«, fragte er. Ich nickte, und spürte erst jetzt das warme Gefühl auf meiner Hand. Für einen Moment wurde es seltsam still zwischen uns. Schließlich blinzelte ich und wandte meine Augen wieder auf die Straße. Elyas räusperte sich, nahm seine Hand von meiner und die Wärme verschwand.
Für den Rest der Fahrt sprachen wir kein Wort mehr miteinander und es kostete mich die doppelte Mühe, mich auf den Straßenverkehr zu konzentrieren.
Selbst als ich den Wagen eine Weile später vor der Uni parkte, wollte die Stille nicht schwinden. Das Leder knirschte, als Elyas sich zurück in den Sitz lehnte. Ich strich mit den Fingern über die Armatur und blickte nach draußen.
»Und ich habe mich immer gewundert, warum du dich nie über meinen Fahrstil beschwert hast«, sagte er schließlich.
»Wieso sollte ich mich beschweren?«
»Weil das jeder tut.
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