Kismet Knight – Vampire lieben länger / Roman
Elefanten im Zimmer zu bemerken?
»Warte mal! Wenn du ihn hören konntest, dann hat er gelogen, dass niemand etwas von unserem Gespräch mitbekommt. Also, warum soll ich glauben, dass er ein Vampir ist? Wahrscheinlich ist er nur eine weitere verlorene Seele, die auf sich aufmerksam machen wollte.«
Sie presste ihre Hand auf meine. »Nein. Er ist genau das, was er zu sein behauptet. Ich konnte ihn hören, weil ich die einzigartige Fähigkeit besitze, der Macht von Untoten zu widerstehen. Das ist einer der Gründe, weshalb Devereux mich beschäftigt. Ich bin sein wandelnder Blutsauger-Problemdetektor.«
Sprachlos glotzte ich sie an. Und abermals erwies meine Realitätsauffassung sich als ein Sieb, aus dem langgehegte Überzeugungen hinauströpfelten und für immer fort waren. Offenbar hatte ich Victorias liebenswerte Erdenmuttererscheinung falsch interpretiert und schon wieder einen Zug am Paralleluniversum-Bahnhof verpasst. Wie alle anderen betrachtete ich die Welt gefiltert durch meine Erwartungen, meine Überzeugungen und meine Beschränkungen. Leider war es mir bestimmt, dauernd erkennen zu müssen, dass ich mit Scheuklappen herumlief. Trotzdem klammerte ich mich beharrlich an meine Vorstellung von »Realität«.
Grinsend neigte Victoria den Kopf. »Das ist dir neu, was? Ich bin doch nicht, was du dachtest, stimmt’s?« Sie tätschelte meine Hand. »Ich hatte sowieso vor, dir dieser Tage die Wahrheit zu sagen. Die Tatsache, dass der Vampirjäger aufkreuzte, hat die Sache bloß ein bisschen beschleunigt. Ich möchte, dass du weißt, mit wem du es zu tun hast. Ich denke, es ist höchst bedeutsam, dass er ausgerechnet mit dir reden wollte.«
Ich benetzte meine Lippen und räusperte mich, als es mir endlich gelang, meine umherirrenden Gedanken in klarere Bahnen zu lenken. »Und warum wollte er mit mir reden? Ich habe doch erst seit wenigen Monaten Kontakt zur Vampirgemeinde. Ich bin keine Expertin – noch nicht. Wieso also schießt er sich auf mich ein?«
»Gute Frage. Ich wünschte, ich wüsste die Antwort. Aber eines ist sicher: Er hat dir nicht alles erzählt, und irgendwie gehörst du zu seinem Plan, ob du willst oder nicht.« Sie legte eine Pause ein, in der sie mich nachdenklich ansah. »Ich schätze, das Zuckermäuschen des mächtigsten Vampirs von Denver zu sein, hat gewisse Nachteile, was? Wahrscheinlich hattest du keine Ahnung, in was für Untoten-Dramen du dich verwickelst. Und ich wette, dass dein Studium und deine Ausbildung dich auf nichts von dem vorbereitet haben, was in den letzten sechs Monaten los war.«
Ich wollte etwas entgegnen, presste meine Lippen jedoch gleich wieder aufeinander und starrte Victoria weiter schweigend an. Sie bot mir die Chance, etwas von meinem Frust loszuwerden, meine Verwirrung jemandem gegenüber zu äußern, der in diesen ganzen Freakshow-Seltsamkeiten mit drinsteckte. Die Arbeit als Therapeutin ist ohnehin ein ziemlich einsames Unterfangen, und sich einen solch »außergewöhnlichen« Schwerpunkt zu suchen, bedeutete, dass ich mich nicht einmal mit Kollegen beraten konnte. Folglich fehlte mir ein gesundes Ventil für meine eigenen Probleme, was früher oder später sicher in ein professionelles Desaster führen würde. Außerdem war es ja nicht so, dass ich Victoria nicht mochte. Von dem Moment an, als ich hergekommen war, um mir das Büro anzusehen, das Devereux mir angeboten hatte, hatte es zwischen ihr und mir gefunkt. Unsere »inneren Kinder« waren prompt Freundinnen geworden. Und trotzdem hielt ich mich zurück. Es mochte mein misstrauisches Naturell sein, das sich Bahn brach. Aber Victoria arbeitete nun einmal für Devereux, und deshalb kam es mir vor, als würde ich ein übersinnliches Minenfeld betreten, sollte ich mit ihr über ihn reden.
Sie kicherte. »Ich hoffe für dich, dass du nicht pokerst, denn dir sieht man wirklich alles an, was in dir vorgeht. Du würdest keine zehn Minuten am Tisch überleben! Natürlich nehme ich mehr wahr als andere, aber du, meine Liebe, bist das klassische Opferlamm.« Sie lächelte milde. »Ich wollte dich bloß wissen lassen, dass ich jederzeit für dich da bin, wenn du jemanden zum Reden oder eine Schulter zum Anlehnen brauchst. Ja, ich arbeite für Devereux, aber ich bleibe immer noch ich. Und ich bin eine sehr treue Freundin. Noch dazu kenne ich Devereux zufällig sehr gut – seine negativen Eigenschaften eingeschlossen. Mir ist bewusst, dass er eine sehr starke Persönlichkeit ist. Er ist schon so lange ein
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