Kismet Knight – Vampire lieben länger / Roman
sein, sich zu verstecken.
Leise keltische Musik streichelte die Luft im Fahrstuhl, als ich von der Tiefgarage ins Erdgeschoss fuhr. Die Türen glitten lautlos beiseite und entließen mich in ein architektonisches Juwel. Die fünf Monate, die ich hier wohnte, hatten meine Begeisterung für die Schönheit der ganz in Gold und Marmor gehaltenen Eingangshalle nicht dämpfen können. Devereux hatte keine Kosten gescheut, um einen atemberaubenden Raum zu schaffen, den er mit edlem Mobiliar und unglaublichen Kunstwerken dekoriert hatte – einschließlich seiner eigenen. Unter dieser noblen Adresse residierten die Zentralen seiner meisten Unternehmen. Bisher war ich mit meiner Praxis die einzige »fremde« Mieterin. Und ich war mir nicht sicher, wie ich mich mit dieser Sonderbehandlung fühlte. Ich wusste, dass die »angemessene« Miete, die er von mir verlangte, lediglich einen Bruchteil des Marktwertes ausmachte. Wie gesagt, ich leugne gern.
Ich durchquerte die große Halle und lauschte dem Klackern meiner Absätze auf dem importierten Marmor, während ich auf die Verwalterin zuging. Victoria Essex winkte mir zur Begrüßung zu und strahlte hinter ihrem vornehmen Schreibtisch. Von allen positiven Aspekten meiner neuen Räumlichkeiten war Victoria kennenzulernen das absolute Highlight gewesen.
»Kismet! Ist es nicht ein wunderbarer Tag?« Immer noch lächelnd, sprang Victoria von ihrem Stuhl auf. Mit ausgebreiteten Armen kam sie mir entgegen, um mich freundschaftlich zu drücken. Nachdem sie mich begeistert umarmt hatte, trat sie einen Schritt zurück und hielt mich an den Oberarmen fest. »Ist alles okay mit dir? Ich habe diesen Idioten Carson heute Morgen gehört. Ist der so ein Arschloch, wie es sich anhört? Bei dem Müll, den er von sich gab, wollte ich glatt noch mal meinen Eid überdenken, niemandem Gewalt anzutun!« Ihre Augen blitzten amüsiert.
Ich beugte mich vor und gab ihr einen Schmatzer auf die Wange. »
Arschloch
ist untertrieben. Er ist definitiv allerunterste Schublade. Kann ich dich nicht doch überreden, ihn mit einem kleinen Fluch zu belegen?« Wir lachten beide.
Victoria ließ meine Arme los. »Hast du Zeit, dich einen Augenblick zu mir zu setzen? Ich habe dich ja seit Tagen nicht mehr gesehen.« Ohne meine Antwort abzuwarten, ergriff sie meine freie Hand und zog mich zu einer Couch in der Nähe.
Victoria war eine recht widersprüchliche Erscheinung. Ihr naturkrauses goldblondes Haar war kinnlang und umrahmte ihr herzförmiges Gesicht mit akkurat gestutzten Korkenzieherlocken. Ihre ausgeprägten Wangenknochen, die Grübchen, ihre gerade Nase und ihre runden peridotgrünen Augen verliehen ihr ein gleichermaßen exotisches wie vertrautes Aussehen. Ihr Gesicht erinnerte mich immer an eine Shirley-Temple-Puppe, die ich in einem Antiquitätenladen gesehen hatte. Ihr Körper hingegen war etwas ganz anderes. Er war üppig im wahrsten Sinne des Wortes: breite Hüften, runder Bauch und volle Brüste. Victoria sah sich selbst als eine Art Hexen-Mae-West. Sie war mehrere Zentimeter kleiner als ich, was sie jedoch problemlos durch ihre bevorzugten Keilabsatzschuhe ausglich.
In meine Praxis zu kommen, machte zu einem nicht unwesentlichen Teil deshalb so viel Spaß, weil ich immer wieder auf Victorias Garderobe gespannt war. Sie besaß eine riesige Auswahl an fließenden Gewändern in lebendigen Farben sowie einen schier unbegrenzten Vorrat an Schmuck, von dem sie das meiste selbst fertigte. Neben ihrer Tätigkeit als Verwalterin von Devereux’ Bürokomplex war sie die Hohepriesterin eines örtlichen Hexenzirkels und betrieb einen Online-Handel mit Ritualzubehör für Hexen.
Nun sah sie mir ernst in die Augen. »Willst du Devereux von dem Vampirjäger erzählen, der beim Sender angerufen hat?«
Die Frage überraschte mich, und wieder einmal stand mir der Mund offen. Nicht nur hatte Victoria zuvor niemals Vampire erwähnt, sondern der unheimliche Blutsauger hatte mir auch versichert, dass keiner von den Radiohörern ihn wahrnahm. Mein Gesichtsausdruck musste ein offenes Buch gewesen sein, denn Victoria nickte finster.
»Ja, ich habe ihn gehört, jedes einzelne böse Wort. Er ist sehr mächtig. Und sehr gefährlich.«
Mein Gehirn rotierte für einige Sekunden, denn lauter Fragen drängelten sich dort, von denen jede die erste sein wollte, die es über meine Lippen schaffte. Selbstverständlich wusste Victoria von den Vampiren. Wie sollte sie jahrelang für Devereux arbeiten, ohne den reißzahnbewehrten
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