Kismet Knight – Vampire lieben länger / Roman
bemerkte, dass der Kaffee kalt war. Wütend funkelte ich die Tasse an, als hätte sie meinen Lapsus verschuldet. Was zur Hölle hatte mich so wütend gemacht? Die Radiosendung bei Carson war ärgerlich gewesen, aber ich hatte schon Schlimmeres hinter mich gebracht, ohne gleich auszuticken. Was war mit mir los? Ich benahm mich eindeutig seltsam.
Eine mögliche Erklärung kam mir in den Sinn.
Neuerdings fiel mir vermehrt auf, dass meine Ausbildung ihre Schattenseiten hatte. All die therapeutische Reserviertheit und die Fähigkeit, still zu sein, während ich die Informationen verarbeitete, die meine Klienten mir lieferten, waren in der klinischen Situation prima. Im zwischenmenschlichen Bereich nervten sie gewaltig. Ich hatte mich von Maxie manipulieren lassen, und das machte mich sauer – wenn auch mehr auf mich selbst als auf sie.
Natürlich würde ich nicht zu irgendeiner bescheuerten Zusammenkunft von aufmerksamkeitssüchtigen Teenagern gehen, die rebellierten, indem sie sich dem Okkulten verschrieben. Was Maxie glaubte, das dort passieren würde, war mir egal. Ich schuldete ihr rein gar nichts, und ich hatte meine Entscheidung klar und deutlich mitgeteilt.
Nachdem ich meinen Becher in die Tischmitte geschoben hatte, raffte ich meine Sachen zusammen und ging zur Tür. Dabei grummelte ich vor mich hin.
Auf dem Korridor gingen die Fahrstuhltüren auf, sowie ich den Knopf nach unten gedrückt hatte. Carsons Stimme japste geifernd aus dem Lautsprecher: »Zieh’s aus! Zieh alles aus!«
Ich verzog das Gesicht und dachte mir, so viele paranormale Monster sich auch im Wandschrank verstecken mochten, wir Menschen trugen nicht wenig dazu bei, diese Welt mit Scheußlichkeiten zu überschütten.
Ein Schauer lief mir über den Rücken, der nichts mit der Temperatur zu tun hatte.
Die Wolkenkratzer in der Innenstadt, in denen sich der Sender befand, waren nur wenige Blocks von meiner neuen Praxis entfernt. Der dichte Nebel und die grauen Wolken von morgens hatten sich wie von Zauberhand in einen von Denvers berühmten Sonnentagen verwandelt, die wahre Meisterwerke an Klarheit darstellten. Ich kurbelte das Wagenfenster herunter und hielt meine Hand in die frische Luft, während ich die verkrampften Muskeln in meinem Nacken und meinen Schultern bewusst entspannte. Mir war gar nicht aufgefallen, wie gestresst und angespannt ich gewesen war. Offensichtlich schlug mein Seltsamkeitsmesser angesichts eines hirntoten Radiomoderators und eines angeblich tagwandelnden Vampirs höher aus als gewöhnlich.
Aber was für ein herrlicher Tag! Der Frühling in den Rocky Mountains war so unvorhersehbar wie die Laune eines Pubertierenden. Die Schneestürme, die unsere Gegend noch bis vor wenigen Tagen gelähmt und die Stadt unter einer hohen Schneedecke vergraben hatten, waren nach Osten weitergezogen. Nun bewegten wir uns in einem bereits schmelzenden Winterwunderland, das uns sehnlich erwartete Feuchtigkeit und ein Postkartenbergpanorama bescherte. Tage wie dieser erinnerten mich daran, weshalb ich mich entschieden hatte, hier zu leben.
Ich fuhr durch die Tiefgarage und setzte rückwärts in meine Parklücke. Ein Lächeln trat auf meine Lippen. Sogar die Garage war makellos. Anfangs hatte ich meine Zweifel gehabt, in Devereux’ Gebäude einzuziehen. Schließlich konnte man ja nicht wissen, wie lange meine Beziehung mit dem umwerfenden Vampir halten würde. Aber bisher lief es gut. Besser als gut. Alles an meinen neuen Räumlichkeiten – die Lage, die Architektur, die Einrichtung – spiegelte Devereux’ Stil und Eleganz aufs Vortrefflichste.
Bei dem Gedanken an die beängstigenden, erniedrigenden Umstände, die zu meinem Umzug geführt hatten, verwandelte mein Lächeln sich in ein Stirnrunzeln. Genau genommen war ich aus meinen alten Praxisräumen hinausgeworfen worden. Ein Umstand, den ich nicht so bald in meinen Lebenslauf aufnehmen wollte. Eine Leiche inmitten blutbespritzter Wände und Teppiche zu entdecken, die als Abschiedsgeschenk eines grausamen, geisteskranken Blutsaugers namens Brother Luther dort deponiert worden war, hatte bei dem Verwalter einen üblen Nachgeschmack hinterlassen. Was man ihm nicht vorwerfen konnte. Ich verzieh mir ja selbst nicht, dass ich alle Hinweise auf den emotional gestörten Vampir vollkommen falsch gedeutet hatte. Andererseits hatte ich zu jener Zeit nicht einmal die Möglichkeit, geschweige denn die reale Existenz von Vampiren in Betracht gezogen. Leugnen kann eine ziemlich bequeme Art
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