Kismet Knight – Vampire lieben länger / Roman
dabei gleich ein paar Sachen auszudenken. Ich hoffe, das hier war nur der erste von vielen Pläuschchen, die wir halten werden. Merk dir: nichts gefallen lassen!«
»Nichts gefallen lassen!«, rief ich und stieß meine Faust nach oben. Es fühlte sich gut an, Victorias Motto zu übernehmen. Ich entsann mich nicht, wann ich zuletzt so viel Spaß gehabt hatte. Zum Teufel mit meiner Professionalität!
Gleichzeitig riss Victoria die Augen weit auf und schlug sich die flache Hand vor den Mund. Sie starrte auf den Bereich hinter mir, und ich drehte mich um. Eine Gruppe stand in der Eingangstür, dicht aneinandergedrängt und zögernd. Sie schienen eher geneigt, sofort wegzulaufen, als weiter in die Halle zu treten. Es handelte sich um meine erste Klientin, ihren Verlobten und die Eltern der beiden, die überaus pünktlich kamen.
Ach du Schande!
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Kapitel 4
D er Blick von der westlichen Fensterbank meiner Praxis war sagenhaft. Ich stand da und beobachtete, wie die Sonne formvollendet hinter die höchsten Gipfel der Rockys sank, um ihre tägliche Reise in die archetypische Unterwelt anzutreten. Eine solare Persephone, die sich dem Wunsch ihres Vaters fügte und in die Finsternis zog.
Surreale Farben wurden in Bögen über den Himmel gemalt und schufen Muster wie aus einer anderen Welt, engelsgleiche Rorschach-Kleckse. Weiche Schatten malten mit visuellen Händen die Konturen meiner Seele nach, erfreuten mein Auge und brachten mich dazu, den Atem anzuhalten. Scharfe Nuancen explodierten, funkelten von uralten Erinnerungen.
Das erstaunliche Farb- und Lichtspektakel, das sich über den Bergen abspielte, half mir, das Leben – meines und das der Klienten – zu relativieren. Dieses wohltuende Ritual schenkte mir ein paar Minuten, in denen ich die Fäden des Tages zu einem größeren Wandteppich verknüpfen konnte. Auf diese Weise konnte ich mich an die Illusion von Kontrolle klammern.
Als ich mich an die Gesichtsausdrücke meiner Klienten erinnerte, die ich nach meinem Gespräch mit Victoria in der Eingangshalle erschreckt hatte, musste ich lächeln. Gewiss hätte ich mir eine Entschuldigung für mein Benehmen ausdenken können, aber ich entschied mich, der ersten Regel in der Psychotherapie treu zu bleiben: Im Zweifelsfall gar nichts sagen. Ich hatte das »Therapeutennicken« zur Kunstform erhoben, jenes sanfte Auf und Ab mit dem Kopf, das alle Berater zu ihrem Repertoire zählten. Im Grunde war es eine mitfühlende Einladung zur Kapitulation, die Quintessenz der Andeutung, bei uns würden die Klienten weich fallen. Doch, es sprach einiges für schweigende, bedingungslos positive Beachtung.
Mitten in meinen Entspannungstagtraum platzte mein innerer Radar, der plötzlich etwas verzeichnete, und ich spürte, wie die Energie im Zimmer sich veränderte, ehe ich ein schwaches »Plopp« hörte, mit dem sich die Ankunft eines Vampirs ankündigte.
»Guten Abend, Dr. Knight.«
Die Hand ausgestreckt, bewegte ich mich dem elegant gekleideten Mann entgegen, der mitten in meiner Praxis erschien. Er ergriff sie sofort. »Hallo, Mr. Roth. Schön, Sie zu sehen, und pünktlich wie immer! Bitte, nehmen Sie Platz!«
Er nickte knapp und setzte sich in die Mitte der nächsten Couch, wo er seine Aktentasche, die ihn ständig begleitete, auf dem Boden abstellte.
Mr. Roth war ein erfolgreicher Anwalt in Denver. Wie üblich trug er einen hübschen grauen Designeranzug aus Italien, ein blütenweißes Hemd und eine rote Krawatte. Sein kurzes schwarzes Haar war nach hinten gekämmt, so dass seine breite Stirn frei blieb – Dracula-Stil –, und seine braunen Augen leuchteten klug unter dichten gebogenen Brauen. Seine Nase war ein bisschen zu klein für sein schmales Gesicht, sein Kinn ein bisschen zu groß, als wäre er auseinandergenommen und falsch wieder zusammengesetzt worden.
Obwohl er sich sehr ernst und geschäftsmäßig gab, hatte er mir schon in unserer ersten Sitzung gezeigt, dass er einen ganz besonderen Humor besaß. Als ich ihn fragte, was ihn nach Jahrzehnten als Vampir bewegt hatte, Anwalt zu werden, antwortete er, dass es für Blutsauger die natürlichste Beschäftigung wäre, ja, dass man die Bezeichnungen »Vampir« und »Anwalt« quasi synonym verwenden könnte.
Da Vampire keine Anwälte brauchten, vertrat er die übelsten menschlichen Gesetzesübertreter: Mörder, Vergewaltiger, Kinderschänder, eben sterbliche Monster jeglicher Couleur. Ich hatte nachgehakt, warum er diesen Abschaum verteidigte, und er
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