Kismet Knight – Vampire lieben länger / Roman
waren. Dabei hatte ich allerdings vorgehabt, sie nur für Devereux zu tragen, wenn wir allein waren, nicht vor Hunderten von Fremden in seinem Club.
Ich drehte mich um und wollte zu meinem Auto zurücklaufen, als ich spürte, wie ein innerer Schalter von
an
auf
aus
gekippt wurde. Meine Muskeln versagten, und ich stand da wie eine Statue. Ich war mir nicht einmal sicher, dass ich noch atmete. Entsetzt hörte ich eine vertraute tiefe Stimme in meinem Kopf: »Zeit für ein wenig Spaß, süße Kismet. Geh in den Club und entdecke deine wilde Ader! Lass alle Hemmungen fallen! Unterhalte mich! Mach mich stolz! Schöne Grüße an Devereux. Wir sehen uns bald wieder.«
Milde Elektrizität strömte durch meinen Körper, und meine Gliedmaßen gewannen ihre Funktionsfähigkeit zurück. Gleichzeitig senkte sich ein beinahe betäubender Nebel auf mein Denken, und ich konnte nicht aufhören, zu grinsen.
»Geh in den Club und amüsier dich!«, rief ich in dem Moment laut, in dem Victoria, Devereux’ Verwalterin, neben mir auftauchte.
»Kismet?« Sie musterte mich staunend. Dann sah sie auf meine Brust und runzelte die Stirn. »Weiß Devereux, dass du hier bist? Ist dir klar, dass du eine durchsichtige Bluse und nichts darunter trägst?« Sie trat einen Schritt zurück. »Und einen extrem kurzen Rock? Das entspricht nicht deinem üblichen Stil.«
»Victoria! Wie schön, dich zu sehen! Bist du auch hier, um ein bisschen Spaß zu haben?«
Victoria neigte sich vor und schnupperte. »Hast du getrunken?«
Ich umarmte sie und schüttelte den Kopf. »Bisher nicht, aber die Nacht ist ja noch jung.«
Sie rümpfte die Nase und schnupperte wieder. »Gras?«
»Das verrate ich nicht.«
Victoria packte meinen Arm, als ich die Tür öffnen wollte. »Kismet, warte! Mit dir stimmt etwas nicht. Du fühlst dich anders an, nicht wie du selbst. Deine Aura ist merkwürdig – ungewöhnliche, schlammige Farben, als wäre da noch eine andere, dunkle Aura.«
»Sei nicht albern, meine Gute!« Ich tätschelte ihre Hand. »Ich bin dieselbe normale Kismet wie immer. Oder zumindest so normal, wie es jemand sein kann, den seine Eltern nach einem alten Broadway-Musical benannt haben. Komm schon! Mischen wir den Laden auf!«
Ich zog an dem Griff der schweren Holztür und schritt in eine Klangmauer. Das Jaulen einer hohen Lead-Gitarre übertönte das wummernde Schlagzeug der Band, die auf der Bühne hinten im Saal spielte. Im ersten Augenblick gingen mir von der akustischen Explosion die Ohren zu, und mein Atem stockte.
Die Inneneinrichtung des Clubs könnte dem feuchten Traum eines Goths entsprungen sein und bot alles, was ein Möchtegernvampir sich nur wünschen konnte: Szenen aus Draculas Burg, Leichen, die aus Spukgräbern auferstanden, und genug Schwarz, dass Ozzy Osbourne verlockt wäre, irgendeinen Kopf abzubeißen. Die allgegenwärtige Nebelmaschine pumpte wabernde weiße Rauchschichten über alles, die das schattige Ambiente noch unheimlicher machten. Die einzige Beleuchtung kam von modernen Nachbauten antiker Fackeln.
In dem riesigen Hauptsaal drängten sich die Leute – manche lebend, manche anders lebendig –, die zu den donnernden Beats der Musiker tanzten. Einer der vielen Vorzüge des »Crypt« bestand in den kuscheligen kleinen Nischen und Winkeln entlang der Wände, ganz zu schweigen von den hübschen Logen in unterschiedlichen Größen, deren kleinste gerade einen Tisch fassten. Mit anderen Worten: Es gab reichlich Plätze für romantische Begegnungen, intime Zweisamkeit und Drogendeals unterm Tisch. Es war leicht, ein privates Eckchen für so ziemlich alles zu finden.
Auf seinem Posten gleich drinnen an der Tür stand Devereux’ Wachmann, äh, Wachvampir. Als ich Ankh zum ersten Mal sah, hatte mich seine ghulische, unheimliche Erscheinung frösteln gemacht. Er war sehr groß und kadaverhaft bläulich-blass mit entsetzlich verfärbten Zähnen. Seine pechschwarzen Augen waren seltsam eingesunken und von großen dunklen Ringen umrahmt, die ihn aussehen ließen, als trüge er eine permanente Halloweenmaske. Ankhs Schädel war kahl bis auf einen dicken schwarzen Zopf, der ihm oben aus dem Kopf spross und an Filme über berühmte ägyptische Pharaonen erinnerte. Seine schlaksige Gestalt war von einem langen schwarzen Umhang verhüllt. Als ich Devereux fragte, warum er einen solch hässlichen Untoten am Eingang seines Clubs postierte, hatte er geantwortet, Ankh besäße das sanfteste, liebenswerteste Temperament von allen Vampiren,
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