Kiss and kill: Thriller (German Edition)
halben Stunde hatte er sie fast eingeholt gehabt, wobei sie die Zeit nur schätzen konnte. Aber sie schaffte es, ihn lange genug in die Irre zu führen, um wieder einen guten Vorsprung zu gewinnen. Heute war der Tag, auf den sie so lange gewartet und den sie aufs Genaueste geplant hatte, seit sie das alte Boot entdeckte. Dies war ihre einzige Chance, von hier wegzukommen. Falls sie scheiterte … Nein, sie würde nicht scheitern. Sie musste leben, musste einen Weg finden, nach Hause zu Asheen zu kommen.
Keuchend drückte sie mit aller Kraft gegen die Bootskante und hätte beinahe einen Freudenschrei ausgestoßen, als es tatsächlich umkippte. Warum war es bloß so schwer? Was für ein Holz mochte das sein, das solch ein Gewicht hatte?
Das Boot ist überhaupt nicht schwer. Du bist nur verdammt schwach, weil du seit Tagen nichts gegessen hast. Du hast praktisch gar keine Kraft mehr.
Nachdem sie tief durchgeatmet hatte, packte sie das eine Ende des Boots und zog. Sie war überrascht, denn es rutschte sehr viel leichter über den Sand, als sie erwartet hatte. Schwer atmend schleppte sie es bis zum Wasser. LaTasha hörte das Röhren des sich nähernden Geländemotorrads erst, als das Boot ins Wasser glitt, und sie begann, an Bord zu klettern.
Gütiger Jesus, nein! Noch nicht. Bitte, nur noch ein paar Minuten.
Als sie sich ins Boot setzte und nach den Rudern griff, sah sie den Jäger auch schon, der aus dem Wald gebraust kam. Eine Sandwolke stob um die Reifen herum auf.
LaTasha schlug die Ruder ins Wasser.
Das ferne Donnergrollen ignorierte sie. Sie hatte keine Zeit, sich Gedanken über das Wetter zu machen.
Der Jäger hielt sein Motorrad an, riss das Gewehr von seiner Schulter und zielte direkt auf sie.
»Stehen bleiben, oder ich schieße!«, brüllte er mit einem irren Funkeln in den Augen und einem tiefroten Gesicht.
Sie begann zu rudern, doch das Boot rührte sich nicht von der Stelle, weil die Wellen es immer wieder Richtung Strand schoben.
Lieber Gott, hilf mir. Hilf mir!
Der Jäger zielte und feuerte.
Die Kugel schlug oben ins Boot ein, so dass ein Stück Holz abplatzte und winzige Splitter durch die Luft flogen.
LaTasha mühte sich weiter mit den Rudern ab. Gerade als der Jäger erneut feuerte, gelang es ihr endlich, beide Ruder gleichzeitig zu bewegen und das Boot so vom Ufer wegzubringen. Die zweite Kugel verfehlte nur knapp ihren Kopf.
Jetzt sprang der Jäger von seinem Motorrad und rannte lauthals brüllend auf das Wasser zu. Er verfluchte sie und drohte ihr.
Wieder zielte er und schoss. Die dritte Kugel traf ebenfalls das Boot, allerdings weit genug oben, um kein Leck zu verursachen.
Zornig und noch lauter schreiend ging er ein paar Schritte ins Wasser, zielte und feuerte nochmals. Diesmal traf er sein Ziel.
LaTasha schrie auf, als das entsetzliche Brennen sich von ihrem Bauch in ihrem ganzen Leib ausbreitete. Sie blutete heftig, wagte aber nicht, sich die Wunde anzusehen oder dem furchtbaren Schmerz nachzugeben. Sie ruderte und ruderte und ruderte. Und dabei betete sie ohne Unterlass.
Als sie wieder zur Insel sah, war sie erst knapp dreihundert Meter weit gekommen. Ihr letzter klarer Gedanke, bevor sie ohnmächtig wurde, war, dass sie entkommen war und es irgendwie nach Hause zu Asheen schaffen würde.
Staunend stand Nic in der Einfahrt vor Griffs Haus und betrachtete den großen blauen Truck. »Meerblau« lautete die richtige Farbbezeichnung, wie Griff ihr gesagt hatte. Ein nagelneuer, glänzender Escalade ESV mit allem Drum und Dran.
»Fröhliche Weihnachten, Liebes«, sagte er, als er ihr die Schlüssel zuwarf.
Sie sah erst auf die Schlüssel in ihrer Hand, dann zu Griff. »Das kann ich nicht annehmen. Weißt du, wie viel so ein Truck kostet? Das ist ein Cadillac, Herrgott noch mal!«
Griff lachte. »Wäre dir ein Ford oder ein Chevy lieber?«
»Nein, das habe ich nicht gemeint.«
Yvette kam zu Nic und sagte lächelnd: »Sag einfach danke und nimm sein Geschenk an, sonst hat keiner von uns mehr etwas von Weihnachten.«
Jeder auf »Griffin’s Rest« wusste, dass der Jäger, sollte er bei seinem Tatmuster bleiben, LaTasha Davies bereits getötet hatte oder sie heute töten würde. Trotzdem mühten sich alle, den Tag für die anderen so angenehm wie möglich zu machen, und verloren kein Wort darüber, was sie dachten. Stattdessen hatten sie ein königliches Dinner genossen, das Sanders und Barbara Jean zubereitet hatten, sich Weihnachtslieder angehört und Geschenke verteilt.
Nic
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