Kiss and kill: Thriller (German Edition)
und schließlich war er zurückgekommen und hatte sie eingefangen.
»Sehr gut«, hatte er ihr gesagt. »Du hast mich während der Jagd über eine Stunde täuschen können. Morgen musst du das zwei Stunden lang schaffen.«
Jeden Tag verdoppelte er die Zeit, die er sie frei laufen ließ, verlängerte die Jagd. Er belohnte sie mit Essen, Wasser oder einem Bad, wenn es ihr gelang, sich nicht innerhalb der festgesetzten Zeit fangen zu lassen. Holte er sie jedoch zu schnell ein, bestrafte er sie.
Denk nicht daran! Lauf einfach weiter.
Sie hörte das Dröhnen seines Geländemotorrads.
Nein, nein! Er kam zu nahe.
Lauf, lauf, lauf!
Griffin und Yvette machten einen nachmittäglichen Spaziergang am Seeufer entlang. Die warme Septemberbrise strich durch Yvettes schulterlanges Haar, das im Sonnenlicht bläulich schwarz schimmerte. Wie so oft dachte Griff auch heute wieder, dass Dr. Yvette Meng eine unglaubliche Schönheit war – klein, zierlich, exotisch, wie eine kostbare Porzellanpuppe.
Für ihre außergewöhnliche Schönheit hatte sie allerdings auch einen exorbitanten Preis gezahlt. York suchte sich nur das Beste aus. Das Allerbeste. Den ganzen Globus hatte er nach einer Frau abgesucht, die so einzigartig war wie Yvette. Nur hatte er die kleine Porzellanpuppe unterschätzt, indem er ihre Freundlichkeit mit Demut verwechselte.
Griff hatte aus Yorks Fehler gelernt, dass der Schein trügerisch sein konnte.
»Es ist schon Herbst«, sagte Griff, nachdem sie fast zehn Minuten schweigend nebeneinander hergegangen waren.
»Hier ist es das ganze Jahr über schön, aber der Blick von meinem Schlafzimmerfenster im Oktober ist schlicht atemberaubend.«
Yvette lächelte. »Manchmal kannst du beinahe poetisch sein, Griffin.« Sie blieb stehen und hielt eine Hand über seinen Arm, ohne ihn zu berühren. »Du hast die Seele eines Poeten und das Herz eines Kriegers.«
Er erwiderte ihr Lächeln. »Und ich vermute, du weißt, wovon du sprichst.«
»O ja, das weiß ich sehr wohl.« Sie zog ihre Hand wieder weg und ging weiter. »Als Kind liebte ich den Sommer. Inzwischen weiß ich an jeder Jahreszeit zu schätzen, was sie uns bietet.«
»Soll diese Bemerkung ein versteckter Ratschlag sein?«
»Wenn man darin einen Rat verstehen will, ja. Wenn nicht …«
»Es gab zwei Täter bei den Morden an Beauty Queens.« Griffin ging weiter und sah Yvette nicht an.
Da er nur langsam schlenderte, hielt sie mühelos mit ihm Schritt. »Aha.«
»Special Agent Baxter und ich kamen dahinter, als wir den Bericht der Ballistik sahen, nach dem Cary Maygarden zweimal getroffen wurden, von zwei verschiedenen Schützen. Aus Rücksicht auf Lindsay und Judd wollte ich die Sache nicht weiter verfolgen. Nic versuchte, jemanden beim FBI zu gründlicheren Nachforschungen zu bewegen, aber als die Morde mit Maygardens Tod endeten, fehlten die Beweise für einen zweiten Beteiligten.«
»Und nun gibt es welche.«
»Er hat uns angerufen«, sagte Griff. »Er spielt ein neues Spiel und hat beschlossen, dass wir mitspielen sollen, Teil seines Spiels werden.«
»Gegner im uralten Krieg zwischen Gut und Böse.« Yvette blieb stehen, als sie sich einer Biegung näherten, wo eine Weggabelung war. In eine Richtung kam man auf die andere Seite des Sees, in die andere zum alten Bootshaus.
»In seinem neuen Spiel hat er fünf Frauen ermordet und eine sechste entführt.« Griff blickte hinauf in den azurblauen Himmel, der bis auf wenige Federwolken hier und dort vollkommen klar war. »Jede der Frauen behält er drei Wochen, dann jagt er ihnen eine Kugel in den Kopf und skalpiert sie hinterher.«
Yvette zuckte nicht einmal mit der Wimper. Dennoch wusste Griff, dass sie nicht immun gegen das Entsetzen war, lediglich desensibilisiert durch frühere Erfahrungen. Er bezweifelte, dass sie irgendwas schockieren könnte.
Wieder streckte sie eine Hand nach ihm aus. »Darf ich?«, fragte sie.
Er verstand sofort, dass sie ihn um Erlaubnis bat, seine Hand nehmen, ihn berühren zu dürfen. Nur wenige Auserwählte wussten um Yvettes geheimes Talent, das sie ebenso sehr als Fluch wie als Segen betrachtete. Sie war ein empathisches Medium. Bevor er ihr begegnete, hätte Griff niemals geglaubt, dass es so etwas geben könnte.
Er reichte ihr seine Hand, denn Yvette vertraute er wie sonst nur einem anderen Menschen – Sanders.
Sie nahm seine Hand in ihre und schloss die Augen. Mehrere Minuten lang sprachen sie beide kein Wort. Griff fühlte die weiche Wärme, konnte jedoch an
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