Kissed by Darkness
Vielleicht würde das hier doch nicht so schlimm werden. Vielleicht war er ja wirklich ein netter Kerl.
Eine Viertelstunde später betete ich innerlich, ein Höllenloch möge sich auftun und mich verschlucken. Oder noch besser ihn. Ich war noch kein einziges Mal zu Wort gekommen. Er schwadronierte ohne Punkt und Komma über seinen Job als Buchhalter. Als Buchhalter! Was ja bestimmt ein wirklich faszinierender Beruf ist, aber jetzt mal ehrlich, ich verdiene mein Geld mit der Vampirjagd. Die Widrigkeiten der Zahlenverarbeitung finde ich da nicht so wahnsinnig spannend.
Als der Kellner endlich kam, um unsere Bestellung aufzunehmen, wurden meine Augen bereits glasig. »Wir nehmen zweimal das Kalb«, erklärte Richard.
Oh nein, das hat er nicht getan. Nein, ganz sicher nicht.
»Entschuldigung«, flötete ich zuckersüß. »Wir nehmen nicht das Kalb. Ich nehme die überbackene Aubergine, bitte.« Ich bin zwar keine Vegetarierin, aber ich empfinde ein perverses Vergnügen dabei, vor aufgeblasenen Wichtigtuern wie Richard Winters Gemüse zu bestellen. Besonders wenn besagte Wichtigtuer Kalbfleisch essen. Und erst recht, wenn sie davor Kalbfleisch für mich mitbestellt haben, als wäre ich irgendeine hilf- und hirnlose Vollpflaume.
Ich lächelte Richard an und trank zur Stärkung einen großen Schluck Wein. Für dieses Date würde ich meine Kraft noch brauchen.
Er erwiderte das Lächeln nicht. Tatsächlich wirkte er extrem angepisst. Gut. Sollte er sich doch aufplustern. Was hatte sich meine Mutter nur dabei gedacht?
Während des Essens lamentierte Richard weiter pausenlos über seinen Job, sein Auto, sein Fitnessstudio, sein Geld. Nach den ersten paar Minuten blendete ich ihn aus, konzentrierte mich auf mein köstliches Essen und flirtete mit dem Barkeeper. Er war zwar eigentlich nicht mein Typ, aber seine Oberarme waren wirklich nicht zu verachten.
»Also habe ich ihm erklärt, dass er zwar die Hotelrechnung absetzen könne, aber ganz sicher nicht die drei Pornofilme …«
Ich hielt mit der Gabel auf halbem Weg zum Mund inne. Hatte er gerade wirklich das Wort Porno beim ersten Date gesagt?
Er faselte weiter: »Tja, ich weiß ja nicht, was Sie so machen, aber bei meiner Arbeit …« Es hätte nicht offensichtlicher sein können, dass er annahm, mein Beruf wäre irgendetwas höchst Langweiliges, und dass es ihn nicht im Mindesten interessierte. Sein Blick wanderte durch den Raum, während er an seinem Revers zupfte.
»Ich töte Vampire.«
Eigentlich hatte ich das gar nicht sagen wollen. Es war mir einfach herausgerutscht.
Er blinzelte und schob sich die Brille ein Stück die Nase hinauf. »Wie bitte?«
Ich trank noch einen großen Schluck Wein. Jetzt, wo das Kind schon in den Brunnen gefallen war, konnte ich genauso gut auch weitermachen. »Vampire. Sie wissen schon … diese blutsaugenden Untoten. Ich töte sie. Beruflich. Dämonen auch.«
Zum ersten Mal an diesem Abend wirkte er verunsichert. Vielleicht sogar ein wenig ängstlich. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, was er am Montag im Büro berichten würde. Hoffentlich erzählte er das hier nicht meiner Mutter. Aber sie würde ihm sowieso nicht glauben. Trotz allem musste ich grinsen.
»Sie töten Vampire.«
»Genau.« Ich lächelte entzückend und trank schnell noch einen Schluck.
Hektisch sah er sich um, vermutlich auf der Suche nach dem Kellner. Oder nach einer Zwangsjacke. »Ähm … klar. Okay. Das ist ja toll. Und gefällt Ihnen der Job?«
»Und wie!«, trällerte ich. Das machte ja richtig Spaß. Dem armen Kerl brach der Schweiß aus. »Außerdem ist es ein Supertraining. Besonders für den Kardiobereich. Hält mich fit.«
Verwirrt musterte er mich, schaffte es aber, sich jeden Kommentar zu verkneifen. Das musste ich ihm anrechnen.
Ich bin nicht wirklich dick. Eher guter Durchschnitt mit ausgeprägten Kurven. Aber nicht gerade das, was man im Hollywoodsinn unter fit verstehen würde. Und ganz sicher wirke ich trotz der reichlichen Bewegung nicht durchtrainiert. Eher America Ferrera als Keira Knightley. Ich gebe meiner Mutter die Schuld daran. Herzlichen Dank an die Genetik. Meine Über-Mann-Stärke ist sicherlich nicht das Resultat von Gewichtestemmen oder Work-outs, aber im Erkennen von Freaks bin ich unschlagbar.
Ich schenkte Richard mein strahlendstes und unschuldigstes Lächeln. Könnte sein, dass ich dabei sogar mit den Wimpern klimperte. Das war der Augenblick, in dem er ein Bündel Scheine aus seiner Brieftasche zog und auf den Tisch
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