KISSED
lässt.
Es ist ein Haus, ein Bed and Breakfast eigentlich. Der Name auf dem Schild lautet CAROLINE’S . Es ist ein altes Gebäude mit Blechdach, das in einem so grellen Violett gestrichen ist, dass ich es sogar im Halbdunkel sehen kann. Aber das alles nehme ich gar nicht richtig zur Kenntnis. Was ich zur Kenntnis nehme, ist das Schild, ein Banner, das an einem Baum hängt. Darauf steht:
Wohnhaus des Königs von Key West
Und darunter steht in kleineren Buchstaben:
Fantasy-Fest, 1980
»Meg! Warte! Schau!«
»Ich schaue nicht, und warten tu ich auch nicht. Ich mag keine Friedhöfe.«
»Nicht der Friedhof. Da drüben. Das Haus. Vom König von Key West. Wir müssen dorthin. Ich habe es den Schwänen versprochen.«
37
Der König ging aber so oft zu seinen lieben Kindern, daß der Königin seine Abwesenheit auffiel.
~~~ Die sechs Schwäne ~~~
»Entschuldigen Sie«, sage ich zu der Frau, die die Tür öffnet. »Sind Sie Caroline?«
Sie ist etwa so alt wie meine Mutter, groß und schlank, und sie hat einen ungewöhnlich langen Hals. Könnte sie wirklich die Schwester der Schwäne sein?«
»Klar bin ich das.« Sie lächelt. Die Menschen in Key West sind freundlich. »Wer möchte das wissen?«
»Johnny.« Ich deute auf Meg. »Und Meg. Wir sind aus Miami. Wir kennen ein paar Freunde von Ihnen, aber vielleicht setzen Sie sich besser.«
Sie lacht. »Du glaubst, ich muss mich setzen, Schätzchen? Denkst du, du kannst mir irgendetwas erzählen, was mich schockiert?«
Klar, dass sie annimmt, ich würde nein sagen. Doch sie weiß nicht, dass ich ihr gleich sagen werde, dass sie sechs Geschwister hat, die in Schwäne verwandelt wurden. Deshalb sage ich: »Ähm … vielleicht. Hören Sie. Ich habeIhr Schild gesehen. Darauf steht, dass irgendjemand hier der König von Key West sei.«
Sie seufzt. »Oh, das war mein verrückter Dad. Ich habe es nur als Lokalkolorit da hängen. Mein Vater ist eine dieser sonderbaren Key-West-Legenden – die zufälligerweise wahr ist.«
»Okay, gut …«
»Warum setzt ihr euch nicht?« Sie zeigt auf einen schmiedeeisernen Tisch. »Dann erzähle ich euch die Geschichte.«
Und bevor ich sagen kann, dass wir es eilig haben, ist sie schon weg und holt einen Krug Limonade für uns und ein Bier für sich. Meg und ich wechseln einen Blick und setzen uns an den Tisch. In der Ferne höre ich Leute lachen und eine Band, die Freebird spielt. Ich schaue zum Friedhof hinüber.
Endlich setzt sich Caroline und erzählt die Geschichte. »Mein Vater nannte sich selbst König von Key West, weil er beim Fantasy-Fest einmal einen Festwagen fuhr, der zeigte, wie sich die Conchs von den USA abspalten und von ihm regiert werden.«
»Die Conchs?«, fragt Meg.
»Eine Conch ist eine Muschel. Die Leute aus Key West nennt man auch Conchs, und Key West selbst nennt man die Conch-Republik. Manche Leute machen Witze über die Abspaltung der Conchs, aber für meinen Vater war das kein Witz. Er war davon überzeugt, König zu werden, wenn sich Key West abspaltet.«
Ich glaube, ich sehe etwas auf dem dunklen Friedhof herumflattern, aber als ich noch einmal hinschaue, ist es nur ein Blatt. Caroline fährt mit ihrer Geschichte fort, die sie wahrscheinlich jedem erzählt, der sie hören will.
»Mein Vater war auch in anderer Hinsicht ein wenig sonderbar. Er sagte, als er jünger war, sei er im Ocala National Forest gewesen. Dort habe er sich verlaufen. Es war schon fast dunkel, und er hatte Angst. Gerade als er sich für die Nacht hinlegen wollte, sah er eine alte Frau. Sie sagte, sie würde ihm den Weg hinaus zeigen, wenn er sich einverstanden erklärte, ihre Tochter zu heiraten. Sonst wäre er dazu verdammt, auf ewig dort herumzuwandern.
Mein Dad erklärte sich einverstanden, weil er dachte, er könnte sich später darum drücken. Doch dann stellte sich heraus, dass die Tochter überaus schön war. Sie heirateten, und ich kam auf die Welt.
Meine Mutter war schön, aber wie sich herausstellte, war das nicht genug. Meine Eltern hassten sich. Er sagte, sie sei eine Hexe. Sie sagte, er sei ein Narr. Ich weiß, dass Letzteres stimmte. Außerdem behauptete er, dass er mit einem Fluch belegt sei. Und er hat auch anderes komisches Zeug gemacht.«
»Komisches Zeug?«, hake ich nach – ich habe nur auf eine Gesprächspause gewartet.
»Eines Tages zum Beispiel merkte ich, dass mein Vater früh am Morgen aufstand. Er stieg in seinen Pick-up, ohne zu merken, dass ich mich heimlich auf der Ladefläche versteckt hatte. Er
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