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Kite

Kite

Titel: Kite
Autoren: Blake Crouch
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Trotzdem zerrte ich mit aller Kraft an den Riemen.
    Sie bewegten sich keinen Millimeter.
    »Wut ist nicht die Reaktion, die ich bei Ihnen auslösen will«, sagte Luther. »Das müssen Sie hinter sich lassen.«
    »Was wollen Sie dann von mir, Luther?«
    Luther beugte sich vor und sah mir ins Gesicht. Seine dunklen Augen durchbohrten mich.
    »Ich will eine Partnerin.«
    Ich entgegnete nichts darauf und fragte mich, was zum Teufel er wohl damit meinte.
    »Ich habe eine Seite in mir entdeckt, von der nur wenige wissen, dass sie überhaupt existiert«, fuhr er fort. »Eine dunkle, schwarze Seite. Im Laufe der Jahre habe ich andere Menschen getroffen, die ebenfalls diese dunkle Seite besitzen. Alex Kork gehörte dazu. Sagen Sie mir, was dachten Sie über Alex?«
    »Sie war eine Psychopathin. Genau wie Sie.«
    Er nickte. »Aber in ihr sprühte ein Funke, nicht wahr? Ichhabe sie im Gefängnis besucht. Wir hatten eine … 
Verbindung.
Eine Verbindung, die tiefer ging als alles Körperliche oder Emotionale. Ich glaube, ich kann auch mit Ihnen eine solche Verbindung herstellen.«
    Ich schloss die Augen. Der Kerl wurde immer verrückter, und ich hatte genug. Ich war in meinem Leben schon zu vielen Psychopathen mit wahnhaften Fantasien begegnet und fragte mich, ob ich diese Sorte Menschen wie ein Magnet anzog.
    Luther berührte meine Augenlider und öffnete sie. »Moral ist ein künstliches Konstrukt. Zugegeben, sie ist für das Funktionieren der Gesellschaft und der Zivilisation unerlässlich. Aber selbst in den zivilisiertesten Nationen haben Mord und Folter Konjunktur. Grausamkeit gegenüber den Mitmenschen ist nicht das Zeichen einer primitiven Gesellschaft, sondern vielmehr der Inbegriff dessen, was eine Gesellschaft den Überlegenen zu bieten hat.«
    »Ja, ich habe ebenfalls Nietzsche gelesen.«
    »Aber letztendlich hat Nietzsche den Schwanz eingezogen.« Luther ließ meine Augen los. »Er hatte nicht den Mut, das auszusprechen, was er nur andeutete. Manche Menschen sind dazu bestimmt, andere zu ihrem Vergnügen zu jagen und zu töten.«
    »Und Sie glauben im Ernst, dass ich das mit Ihnen gemeinsam habe?«
    »Sie jagen ja bereits Menschen, Jack. Während Ihrer gesamten Laufbahn haben Sie nichts anderes gemacht. Aber Sie halten sich immer zurück, wenn es anfängt, lustig zu werden. Ich habe versucht, Ihnen beizubringen, Ihr inneres Selbst voll zur Geltung zu bringen. Das Raubtier in Ihnen.«
    »Alex hatte eine Schraube locker. Aber Sie sind vollkommen durchgeknallt, Luther.«
    »Sie sind verwirrt, Jack, und Sie wissen es nicht einmal. Genau wie Dante. Ich war früher auch verwirrt. Sogar als ich bereits mein wahres Selbst akzeptiert hatte, brauchte ich immernoch jemanden, der mir den richtigen Weg wies. Ich habe viel von anderen gelernt, zum Beispiel von Menschen wie Alex. Ich habe diese Vorbilder persönlich kennengelernt und sie studiert. Ich habe Ihre Fälle studiert und alles über die Menschen herausgefunden, die Sie gejagt haben. Ich habe mir die Dinge herausgepickt, die funktionierten, und sie dann verfeinert, wie Sie selbst gesehen haben. Jäger haben gewöhnlich eine kurze Aufmerksamkeitsspanne und einen Tunnelblick. Aber ich sehe die Dinge in ihrer gesamten Bandbreite. Es macht mir nichts aus, meine Befriedigung für eine Weile aufzuschieben, wenn ich dadurch auf lange Sicht ein besseres Ergebnis erziele.«
    »Vollkommen durchgeknallt«, sagte ich.
    »Ich dachte früher auch wie Sie. Aber dann hat mir etwas die Augen geöffnet.« Er lächelte, und es war ein hässlicher Anblick. »Schmerz, Jack. Schmerz reinigt und schafft Klarheit. Schmerz ist rein und beseitigt alles. Würde. Künstlichkeit. Moral. Der Schmerz hat es mir ermöglicht, mich wie neugeboren und wirklich frei zu fühlen.« Er senkte seine Stimme. »Und Ihnen wird es genauso gehen.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Niemals.«
    »Doch. Die Frage ist nur, wie schlimm und wie lange ich Ihnen wehtun muss. Wollen Sie wissen, was ich vorhin gemeint habe, als ich sagte, etwas hätte mir die Augen geöffnet?«
    Ich wollte es nicht wissen. Statt ihm zu antworten, starrte ich ihn nur wütend an.
    Er tätschelte die Vorrichtung, an der ich mit Riemen fixiert war.
    »Die Zeit, die ich in diesem Stuhl verbringen durfte, hat mich ein für alle Mal verändert, Jack. Davor war ich wie Sie und habe das Böse in mir unterdrückt. Akzeptieren Sie einfach, dass Sie bis jetzt überhaupt keine Vorstellung hatten, wie verkommen Sie wirklich sind. Dieser Stuhl wird einen
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