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Kite

Kite

Titel: Kite
Autoren: Blake Crouch
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machen.«
    Ein paar Sekunden später zog McGlade behutsam die Fäden aus Herbs Augenlidern.
    Herb öffnete die Augen. Sie waren so stark geschwollen, dass er sie nur ein klein wenig aufbekam.
    Aber das genügte.
    »Harry … ich … ich kann kaum glauben, dass ich das jetzt sage, aber es ist toll, dich zu sehen.«
    »Das Vergnügen ist ganz meinerseits.«
    Herb verschlug es für einen Augenblick aus Dankbarkeit die Sprache. »Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll.«
    McGlade grinste. »Wie wär’s mit ’nem Blowjob?«
    Herb grinste zurück. »Darauf hab ich jetzt keinen Bock. Aber wie gefällt dir das?«
    Und dann tat Herb etwas, von dem er nie geglaubt hätte, dass er es jemals tun würde, selbst wenn er hundert Jahre alt würde: Er schloss Harry McGlade in die Arme.
    »Danke, Harry.«
    »Keine Ursache, Herb. Ich hab mich dir gegenüber jahrelang wie ein Arschloch benommen. Das ist doch das Mindeste, was ich für dich tun kann.«
    »Jedenfalls steh ich tief in deiner Schuld, und …« Herb rümpfte die Nase. »Riecht es hier nach Pisse?«
    »Das ist Phin«, sagte Harry und stieß ihn weg. »Und jetzt machen wir, dass wir unser Mädchen wiederbekommen.«
    Phin stand bereits an der Tür und zerrte am Griff. Als sie nicht aufging, stemmte er sich mit seiner unverletzten Schulter dagegen, aber das half auch nichts.
    »Kannst du laufen?«, fragte Harry Herb.
    »Ich weiß nicht.«
    McGlade starrte auf die Schusswunde und zog dann die Jacke aus. »Ralph Lauren«, sagte er traurig. »Sorry, Ralph.«
    Er klemmte sich die Jacke unter den Arm, riss einen Ärmel ab und verband damit Herbs Wade. Dann half er Herb auf die Füße, worauf dieser sich fragte, ob er es wirklich mit McGlade zu tun hatte oder mit einem Roboter, der nur so aussah.
    »Kennst du den Code?«, rief Phin ihnen zu.
    »Lies mir noch mal den Text auf der Messingtafel vor.«
    »Maßlosigkeit. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.«
    Herb dachte nach und hatte plötzlich eine Idee.
    »Maßlosigkeit beim Essen führt zu Übergewicht. Ich glaube, es ist ihr Gewicht«, sagte Herb und deutete auf Christines Leiche. Als er sie jetzt zum ersten Mal sah, fiel es ihm schwer, den Leichnam mit dieser wunderschönen Gesangsstimme in Verbindung zu bringen.
    »Was meinst du, wie viel sie wiegt?«, sagte Phin.
    Herb runzelte die Stirn. Sie war dicker als er, aber es war schwer zu sagen.
    »Fang bei hundertfünfzig an«, sagte er. »Dann versuch es jeweils mit einem Kilo mehr.«

Jack
    Als ich wieder zu mir kam, dachte ich, ich wäre immer noch auf dem Entbindungstisch festgeschnallt.
    Aber das hier war etwas anderes.
    Etwas Schlimmeres.
    Ich hatte Damenbinden zwischen den Beinen und blutete.
    Mit zusammengekniffenen Augen blickte ich mich im Raum um. Der Boden unter mir war mit Sand bedeckt. Im Lichtschein unter der Decke schwebten Staubpartikel. Als eins davon auf meinem Bein landete, erschrak ich darüber, wie heiß es war.
    Es war glühende Asche.
    Sie fiel auf mich herab.
    An der Wand sah ich eine weitere Messingtafel mit der Aufschrift: »SIEBTER KREIS: GEWALT«. Darunter stand noch etwas, aber ich konnte es nicht lesen.
    Als ich meine Fesseln prüfte, stellte ich fest, dass meine Hand- und Fußgelenke an einer Art Seilwinde befestigt waren. Zu meiner Rechten stand ein Metallwagen mit einem Schaltpult darauf.
    Aber es interessierte mich nicht, wo ich war oder was mit mir geschah.
    Ich dachte nur an meine Tochter.
    Meine Tochter und meine Freunde.
    Eine Tür ging knarzend auf. Ich reckte meinen Hals, um zu sehen, was los war.
    Luther kam herein, stapfte durch den Sand auf mich zu, blieb neben mir stehen und starrte auf mich herab.
    »Sie bluten immer noch ein bisschen, Jack. Ich war so frei, da unten ein paar Damenbinden anzubringen.«
    »Wo ist sie, Sie Dreckskerl?«
    Luther kratzte sich am Hinterkopf. »Ursprünglich saßen Phin und Harry in diesen Stühlen. Sie sollten sich gegenseitig zu Tode foltern, während Sie zusehen. Dabei wäre die glühende Asche auf sie herabgefallen. Sie hätten mich angefleht aufzuhören. Es wäre wirklich schön gewesen.«
    Ein Stück Asche fiel ihm auf den Arm, und er sah zu, wie sie ein winziges Loch in seinen Ärmel brannte.
    Ich biss die Zähne zusammen. »Wo ist meine Tochter?«
    »Sie ist weg, Jack. Vielleicht erzähle ich Ihnen eines Tages, was mit ihr passiert ist. Wenn Sie bereit sind. Aber noch sind Sie nicht bereit.«
    Ich war erschöpft und emotional ausgelaugt und ich hatte an einem Dutzend Stellen Schmerzen.
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