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Kite

Kite

Titel: Kite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
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steckte.
    An der Seitenwand auf der Fahrerseite hatte jemand einen Werkzeugschrank fest im Boden verankert. Darin befanden sich mehrere Regale mit Operationsinstrumenten – Zangen, Sägen, Skalpelle, Stahlhaken, Klemmen.
    Er sah wieder zu Siders hinüber.
    »Sie waren das, nicht wahr? Der Mann, der diese Frau an der Eisenbahnbrücke aufgehängt hat.«
    Siders grinste. »Sie haben’s gesehen, oder?«
    »Das waren Sie?«
    »Das war ich.«
    Marquette rutschte auf dem Sitz hin und her und versuchte, sich aus dem Gurt zu befreien.
    »Lassen Sie’s bleiben«, warnte Siders ihn.
    Marquette holte mit dem linken Arm aus und schlug mit der Faust gegen die Fensterscheibe. Er schrie vor Schmerz, als seine Hand abprallte und auf dem Glas eine blutige Schmierspur hinterließ.
    Siders fing an zu lachen.
    Trotz seiner Angst brachte Marquette einen ganzen Satz über die Lippen: »Ich kann mit Ihnen auf der Stelle zu einem Geldautomaten fahren.«
    »Ja? Wie viel können Sie mit Ihrer Karte am Tag abheben?«
    »Zweitausend. Und ich werde niemandem was erzählen, das schwöre ich hoch und heilig.«
    Marquette wusste, dass er sich die Knöchel gebrochen hatte, aber er fühlte kaum Schmerz. Was er vor allem spürte, war ein Druck auf seinem Brustbein, als hätte jemand eine Hantel daraufgelegt. Er konnte nur noch stoßweise atmen und es wurde ihm dabei immer schwindliger.
    »Ich habe eine Familie. Eine Frau …« Er fing an zu weinen. »Eine Tochter.«
    »Wie schön für Sie. Werden sie Sie vermissen?«
    »Sehr.«
    Siders sah ihn von der Seite an. »Es ist gut, wenn es jemanden gibt, der einen vermisst, finden Sie nicht auch?«
    »Bitte.«
    »Kommen Sie mir bloß nicht auf die Tour. Das ist meine letzte Warnung. Und versuchen Sie ja nicht, mich zu schlagen.« Siders zeigte ihm die Pistole, die er in der linken Hand hielt.
    Marquette sah zum Fenster hinaus und stellte fest, dass sieauf dem Lakeshore Drive nach Süden fuhren. Ein paar Sonnenstrahlen drangen durch die Wolkendecke, trafen schräg auf den See und brachen sich an der Wasseroberfläche, die daraufhin aussah wie ein Feld voller glänzender Juwelen.
    Sie kamen am Soldier-Field-Stadion vorbei.
    Es herrschte wenig Verkehr.
    Marquette dachte über sein Leben nach. Er hatte eine Familie und Freunde und empfand echte, aber keinesfalls außergewöhnliche Gefühle für sie. Außergewöhnlich war nichts in seinem Leben. Er hatte endlos viel Zeit damit verbracht, an einem College uninteressierte junge Leute zu unterrichten, die seine Kurse belegen mussten, um ihren Abschluss zu machen. Und in seiner Freizeit hatte er sich mit den Werken von Autoren befasst, die schon seit mehreren hundert Jahren tot waren.
    Aber es war immerhin
sein
Leben, und er hatte es gelebt, so gut er konnte. Natürlich hatte er Fehler gemacht, und im Nachhinein bereute er so manches. Aber es gab immer noch ein paar Dinge, die er tun wollte, zum Beispiel eine Burg in Schottland besichtigen und mit Delfinen schwimmen. Und obwohl es wie ein Klischee klang, hatte er schon immer vorgehabt, eines Tages Fallschirm zu springen.
    Doch jetzt wollte er nur noch seine Familie sehen. Ein allerletztes Mal.
    »Darf ich meine Frau anrufen?« Seine Unterlippe zitterte und er war den Tränen nahe. »Mich von ihr verabschieden?«
    »Nein.«
    Siders parkte nicht weit vom Adler-Planetarium und stellte den Motor ab. Die Sonnenstrahlen, die durch die Windschutzscheibe fielen, erschwerten die Sicht.
    »Eine gute Nachricht habe ich zumindest für Sie«, sagte Siders.
    »Und die wäre?«
    »Diese ganzen furchteinflößenden Werkzeuge, die Sie dorthinten gesehen haben? Die kommen erst zum Einsatz, wenn Sie schon tot sind.«
    »Was reden Sie da?« Marquette tat sich schwer, Siders zu folgen. In seinem Hirn wechselten sich Angst, Sorge und Bedauern in schneller Reihenfolge ab.
    »Was ich sagen will, ist, dass Sie noch von Glück reden können. Schauen Sie sich das mal an.« Siders hielt ein billiges Taschenbuch hoch, dessen Cover in grellen Farben gestaltet war. Der Titel lautete
Die Waffe des Mörders
. »Das Mädchen auf der Brücke? Sie machte enge Bekanntschaft mit einem anderen Buch von demselben Autor. Haben Sie schon mal was von ihm gelesen?«
    »Marquette kniff die Augen zusammen und las den Namen. »Andrew Z. Thomas? Nein, hab ich nicht.«
    Siders lächelte. »Glauben Sie mir, das da wird Ihnen im wahrsten Sinn des Wortes unter die Haut gehen. Schauen Sie her.«
    Marquette blickte auf die andere Hand des Mannes und sah, dass er

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