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Kite

Kite

Titel: Kite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
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musste Phin sich gestern gefühlt haben.
    Ich erhob mich schwerfällig von meinem Stuhl und suchte meine Schuhe.
    Das konnte ja nur ein beschissener Tag werden.

Luther
17. März
Fünfzehn Tage vorher
Drei Tage nach dem Vorfall mit dem Bus
    »Ihr Name?«
    »Christine. Christine Agawa.«
    »Wie viel wiegen Sie, Christine?«
    »Was?«
    »Haben Sie meine Frage nicht gehört?«
    »Schon, aber ich verstehe nicht …«
    »Ob Sie sie verstehen oder nicht, interessiert mich nicht. Beantworten Sie verdammt noch mal meine Frage.«
    Sie senkt ihren Blick und starrt auf den Tisch.
    Er kann die Scham und den Selbsthass förmlich riechen.
    »Hundertsiebzig Kilo.«
    »Stimmt das? Oder verstecken Sie ein paar Kilo vor mir?«
    »Ich hab mich schon lange nicht mehr auf die Waage gestellt. Wahrscheinlich wieg ich mehr.«
    »Hatten Sie schon immer Übergewicht?«
    »Seit ich …« Sie wischt sich eine Träne aus dem Auge. »Seitdem ich zehn Jahre alt war.«
    »Und warum?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Liegt es an der Schilddrüse oder sonst etwas, wofür Sie nichts können?«
    Sie schüttelt den Kopf.
    Er schiebt seinen Stuhl zurück und steht auf.
    »Danke, Christine.«
    »Warum bin ich hier?«, fragt sie, als er die Hand nach der Tür ausstreckt. »Bitte.« Sie bricht in Tränen aus. »Ich mache mir solche Sorgen.«
    »Schon gut, Christine. Das ist eine gesunde Reaktion. Aber Sie sollten sich keine Sorgen machen.« Er lächelt. »Sie sollten Angst haben.«

Peter Roe
1. April, 13:30 Uhr
    Es war sein erster Termin nach der Mittagspause, eine Besprechung mit einem potenziellen Mandanten, einem Herrn aus Champagne. Das erste Telefonat war gut gelaufen, und so hatte er beschlossen, den Mann persönlich zu empfangen. Das Produkt, um das es ging, war ein Glasschneider, der die neueste Technologie verwendete, ohne bereits bestehende Patente zu verletzen. Mr Siders schien überzeugt davon, dass dieses Produkt, sobald es auf den Markt kam, sich zu einer Goldgrube entwickeln würde. Andererseits lag genau darin das Problem mit Erfindern. Fünfundsiebzig Prozent von ihnen waren im klinischen Sinne verrückt, und neunzig Prozent bildeten sich ein, dass ihre Erfindung sie zu Millionären machen würde. Aber zu Peter Roes Stärken gehörte – zumindest dachte er das – sein sicheres Gespür im Hinblick auf neue Mandanten. Er wusste, wann er ein Mandat annehmen oder ablehnen musste, und er konnte abschätzen, ob das Produkt Potenzial hatte und für ihn die Mühe wert war, die psychischen Störungen und Neurosen des Erfinders zu ertragen.
    Peter Roes Telefon klingelte.
    Er schaltete auf Lautsprecher. »Ja, Kelly?«
    »Mr Roe, Mr Siders ist wegen seines Termins um halb zwei hier.«
    »Danke, ich komme sofort.«
    Er legte auf, griff zum Mikrofon seines Diktiergeräts und hinterließ den Vermerk, dass er drei Stunden und fünfundzwanzigMinuten für seine Antwort auf eine Entscheidung des amerikanischen Patent- und Markenamts, die er vor der Mittagspause fertiggestellt hatte, berechnen würde.
    Er erhob sich von seinem Schreibtisch und schlüpfte in das Versace-Jackett, das er immer vor Gericht trug – und bei seinem ersten Termin mit einem neuen Mandanten. Schließlich musste man einen guten Eindruck hinterlassen, wenn man schon sechshundertfünfundzwanzig Dollar pro Stunde berechnete.
    Er traf Mr Siders im Vorzimmer an. Der Mann war groß und trug sein langes schwarzes Haar unter einer Baseballkappe mit einem Logo der White Sox. Seine Augen verbargen sich hinter einer dunklen Sonnenbrille. Er trug schwarze Stiefel, schwarze Jeans und ein langärmeliges schwarzes T-Shirt, das mit einem Motiv der Heavy-Metal-Band
Slayer
bedruckt war. Nicht gerade ein Outfit, mit dem man beim ersten Anwaltstermin Eindruck machte, aber so etwas war keineswegs ungewöhnlich. Erfinder, das wusste Roe aus langjähriger Erfahrung, waren komische Käuze, die das Image des verrückten Wissenschaftlers mittels ihrer Kleidung auf aufdringliche Weise pflegten.
    »Rob Siders«, begrüßte Roe seinen Besucher mit einem Lächeln, das er im Laufe der Jahre perfektioniert hatte. Es strahlte Selbstbewusstsein und Reichtum aus und wirkte freundlich, aber nicht zu offen – gerade richtig, um dem Gegenüber auf subtile Weise zu zeigen, wo die Grenzen lagen, die die Beziehung zwischen Anwalt und Mandant definierten.
    Roe hielt Siders die Hand hin. Der Mann erhob sich und erwiderte die Geste. Sein Händedruck fühlte sich schlaff und kalt an, wie ein toter Fisch. Außerdem stimmte

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