Klack: Roman (German Edition)
Blumen überhäuften Eichensarg lagen die Gebinde und Kränze so drapiert, dass man die Aufschriften auf den Schleifen lesen konnte: Letzte Grüße und Stilles Gedenken, Tiefe Trauer und Untröstlichkeit. Letzte Grüße kamen viermal vor, Tiefe Trauer dreimal. Die Untröstliche war Oma.
Als Richter am Oberlandesgericht sei Opa gewesen, was Pastor Hinrichs in seiner Ansprache einen angesehenen Juristen, verdienstvollen Bürger und guten Christen nannte. Der gute Christ war eindeutig gemogelt, eine fromme Lüge, die Oma dankbar schluchzend als letzte Wahrheit hinnahm. Der verdienstvolle Bürger war eine Phrase, mit der ich nicht viel anzufangen wusste. Wann war einer verdienstvoll? Opa hatte zwar eine gute Pension bezogen und Hanna und mir bei jeder sich bietenden Gelegenheit in den Ohren gelegen, später unbedingt Beamtenlaufbahnen einzuschlagen, Justiz, Verwaltung, Schuldienst, wenn alle Stricke reißen seinetwegen auch Bahn oder Post – Hauptsache verbeamtet. Ohne Beamte sei kein Staat zu machen, und abgesehen vom beruhigenden Pensionsanspruch sei man als Beamter immer auf »der sicheren Seite«, weil der Staat nie Pleite machen könne. Aber verdienstvoll? Verdienstvoll waren doch wohl eher Millionäre wie die Versandhändler Otto und Neckermann oder auch Herr Siefken aus unserer Nachbarschaft, der es in wenigen Jahren vom Maurer zum Bauunternehmer gebracht hatte und sich alle zwei Jahre einen neuen Borgward leistete.
Blieb also noch der angesehene Jurist. Als Pastor Hinrichs das aussprach, nickten Oma und meine Mutter dankbar zustimmend, wenn nicht wie erlöst; mein Vater schloss die Augen und zupfte sich am Ohrläppchen, als könne er mit geschlossenen Augen auch nichts mehr hören. Onkel Ernst zog die Augenbrauen hoch, und Onkel Fritz, der neben mir saß, verkniff sich ein Grinsen und flüsterte »de mortuis nihil nisi bene«. Das kannte ich aus dem Lateinunterricht. Wie die merkwürdige Mimik und Gestik zu verstehen war, sollte ich bald erfahren.
Zum Orgelklang von Jesus meine Zuversicht wurde der Sarg aus der Kapelle getragen, gefolgt von der näheren Verwandtschaft und, in respektvollem Abstand, von den zahlreichen Freunden, Bekannten und Kollegen Opas. Am offenen Grab hielt Pastor Hinrichs noch ein kurzes Gebet, und dann verschwand der Sarg mittels zweier Taue langsam in der Tiefe. Jeder von uns, Oma zuerst, trat einzeln an den Grubenrand, dachte sich kurz seinen Teil – ich dachte: mach’s gut, Opa – und warf mit einem Schäufelchen etwas Erde auf den Sarg. Oma und meine Mutter warfen noch je einen Blumenstrauß hinterher, Hanna eine einzelne Rose, was ich kitschig und irgendwie erbschleicherisch fand. Zum Schluss kamen Tante Grete und Onkel Ernst, der aber das Schäufelchen verpönte und mit der Hand resolut in den Erdhaufen griff.
»Mal wieder typisch«, wisperte mir Onkel Fritz zu, »soll wohl proletarisch sein.«
Onkel Fritz und Onkel Ernst waren derart unterschiedliche Charaktere, dass Opa sich einmal gewundert hatte, wie sie überhaupt in einer Familie vorkommen konnten, auch wenn Onkel Ernst nur angeheiratet war.
»Zum Glück«, fand Oma.
»Eher zum Unglück«, korrigierte Opa.
Aber mit ihrem eigenen Sohn Fritz hatten sie natürlich auch so ihre Probleme. Fritz war der ältere Bruder meines Vaters und galt als der Paradiesvogel der Familie, die ihn allerdings so gut wie nie zu Gesicht bekam, weil er in Spanien lebte und nur manchmal an Weihnachten zu Besuch kam. Zum Entsetzen von Oma und Opa hatte er nicht Beamter, sondern Maler werden wollen und auf einer Kunstakademie studiert. Anschließend war er einige Jahre in Paris gewesen und dann Mitte der Dreißigerjahre nach Madrid gegangen. Über seine Motive kursierten drei Versionen. Die erste wollte wissen, Onkel Fritz habe während des Spanischen Bürgerkriegs als Verbindungsoffizier der Legion Condor gearbeitet. Diese Version wurde nicht ohne Stolz kolportiert, und die Tatsache, dass Onkel Fritz sie als haltlose Phantasie und Blödsinn dementierte, galt da eher noch als Bestätigung, weil die Legion Condor ja eine Art Geheimtruppe gewesen war. Die zweite Version wurde hinter vorgehaltener Hand getuschelt. Onkel Fritz sei nämlich »einer vom anderen Ufer«, »ein warmer Bruder«, »ein Hundertfünfundsiebziger«. Und als solcher habe er sich damals in Paris in einen Spanier verliebt und sei ihm nach Madrid gefolgt. Dafür sprach zumindest, dass Onkel Fritz nie geheiratet hatte, was nicht nur meine Mutter »sonderbar« fand, weil der Mann
Weitere Kostenlose Bücher