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Klack: Roman (German Edition)

Klack: Roman (German Edition)

Titel: Klack: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Modick
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Das lag wohl an den Auswirkungen der Planwirtschaft in der Zone.
    Oma war zwar, wie schon auf ihrer Kranzschleife schriftlich niedergelegt, untröstlich, hielt sich aber sehr tapfer. Opas Tod war nicht plötzlich gekommen, sondern als »Erlösung von schwerem Leiden«, wie es in der Todesanzeige geheißen hatte. Gestorben war er an Kehlkopfkrebs, zu dem sein unmäßiger Zigarrenkonsum beigetragen haben dürfte. Ich konnte ihn mir gar nicht ohne Zigarre vorstellen, deren Schwaden sein Gesicht wie einen nebligen Berggipfel umlagerten und im ganzen Haus zu riechen waren.
    »Dieser Geruch«, sagte Oma melancholisch, »wird mir ab nun fehlen.«
    »Sei doch froh«, meinte meine Mutter. »Die Zigarren haben ihn umgebracht.« Sie sagte das mit der zweifelhaften Autorität ihres Wunschtraum gebliebenen Medizinstudiums, mit der sie bei Zipperlein und Kinderkrankheiten eine gewisse Kompetenz simulieren konnte.
    Über Opas Todesursache vertrat Oma allerdings eine entschieden andere Theorie. »Unsinn«, sagte sie, »er hat ja immer schon geraucht. Wisst ihr, woran er gestorben ist? Er ist an den Atombomben gestorben. Also natürlich nicht direkt an den Bomben, Gott behüte, aber an den Strahlen. All diese Versuche und Tests, das kann einfach nicht gesund sein. Man weiß es doch auch vom Röntgen. Jetzt gibt es sogar schon so eine Atomfabrik am Rhein.«
    »Am Main«, sagte mein Vater, »in Kahl. Das ist aber gesundheitlich völlig unbedenklich und dient ausschließlich friedlichen Zwecken. Vielleicht werden wir demnächst damit heizen.«
    »Oh ja, mit einem einzigen Atombrikett durch den langen deutschen Winter«, schmunzelte Onkel Fritz und dachte dabei vermutlich an seine Finca auf Mallorca.
    »Wollen wir im Sinne des Weltfriedens und der internationalen Völkerverständigung hoffen, dass eure Atompolitik friedlich ist«, deklamierte Onkel Ernst. Es klang wie auswendig gelernt.
    »Wollen wir es hoffen«, echote Tante Grete.
    »Wen meinst du denn mit eure Atompolitik?«, erkundigte sich Onkel Fritz.
    »Die des Westens, des amerikanischen Imperialismus, dessen Steigbügelhalter –«
    »Kinder, Kinder«, mahnte Oma, »streitet euch doch nicht. Nicht über Politik. Nicht an diesem Tag. Lasst uns lieber einen schönen Bohnenkaffee trinken.«
    Aber es war zu spät. An diesem brütend heißen Sommertag brach der Frost des Kalten Kriegs über unsere Familie herein, und mit ihrer eher harmlosen Bemerkung über die tückischen Atomstrahlen hatte Oma dem eisigen Gast unfreiwillig die Tür zum Ratskeller geöffnet.
    »Euer Chruschtschow hat neulich in der Tagesschau mit einer Hundertmegatonnen-Superbombe gedroht«, sagte mein Vater. »Das ist doch wie eine Kriegserklärung. Und in der Presse hieß es, dass der Russe, gegen den ich als solchen überhaupt nichts habe, Truppen nach Berlin verlegt.«
    »Wen meinst du mit der Russe?« Jetzt wurde Onkel Ernst aber richtig fuchsig. »Die sowjetischen Friedenstruppen in der Hauptstadt der DDR schützen uns vor der Aggression durch revanchistische und militaristische Kräfte in Westdeutschland, die vom amerikanischen Imperia–«
    »Die wollen euch nicht beschützen, die wollen euch einsperren«, unterbrach ihn Onkel Fritz. »Die Leute türmen massenweise aus eurer sogenannten DDR. Es gibt doch längst Ausreisebeschränkungen. Fehlt nur noch, dass eine Mauer gebaut wird. Man fragt sich, wieso du und Grete überhaupt noch in den Westen durftet.«
    »Und warum ihr nicht hierbleiben wollt«, ergänzte Oma.
    »Weil wir am Aufbau des Sozialismus mitarbeiten«, sagte Onkel Ernst. »Außerdem ist die Deutsche Demokratische Republik nicht sogenannt, sondern ein rechtmäßiger Staat, und –«
    »Recht mäßig, in der Tat«, höhnte Onkel Fritz.
    »Und zweitens hat niemand die Absicht, eine Mauer zu bauen«, sagte Onkel Ernst irgendwie feierlich.
    »Niemand«, wiederholte Tante Grete.
    »Die Stimme eures Herrn«, spottete Onkel Fritz. »Fehlt nur noch, dass du sächselst.«
    »Wir müssen unsere Staatsgrenze gegen revanchistische und faschistische Elemente sichern«, eiferte Onkel Ernst. »Du als Francoknecht solltest wissen, dass der Faschismus immer noch –«
    »Möchtest du auch Butterkuchen zum Kaffee, Ernst?«, erkundigte sich Oma.
    Onkel Ernst nickte heftig.
    »Vom Faschismus würde ich an deiner Stelle aber nicht so laut reden«, setzte Onkel Fritz nach. »Wenn ich mich recht erinnere, warst du bei den Nazis ein ziemlich –«
    »Verleumdung«, blaffte Onkel Ernst mit Butterkuchen im Mund.

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