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Klack: Roman (German Edition)

Klack: Roman (German Edition)

Titel: Klack: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Modick
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es in ewigem Eis.
    Jetzt weißt du auch die Namen wieder.

    Der auf Hochglanz polierte rote Lack der Karosserie und das gleißende Chrom der Stoßstangen wirkten wie Zerrspiegel im Irrgarten auf dem Ostermarkt, stauchten mich zu einem feisten Zwerg oder streckten mich spindeldürr. Die Zierleisten auf der Kühlerhaube und an den Seiten – Blitze. Das in der Sonne funkelnde Rund der Radkappen, umrahmt von weißen und schwarzen Ringen der Weißwandreifen – unbekannte Planeten, zu denen Amis und Sowjets sich ein Wettrennen durchs Weltall lieferten. Die Chromschirme über den Scheinwerfern – Schutzschilde gegen Meteoriten. Die Buchstaben auf den Seiten und am Heck – Signaturen eines Genies. Borgward Isabella TS de Luxe. Was für ein Auto! Das Auto des zum Bauunternehmer aufgestiegenen Maurers Siefken, den Oma einen Neureichen nannte. Um sich so ein Auto leisten zu können, musste man ja wohl auch mindestens neureich sein. Ich fuhr mit der Hand andächtig über die sanfte Wölbung des Kotflügels.
    »Mach da bloß keine Kratzer dran!«
    Ich fuhr zusammen. Siefken hatte mich erwischt, war aber nicht böse, sondern freute sich offenbar über meine Bewunderung für sein Prachtstück und klopfte mir kumpelhaft auf die Schulter.
    »Toller Schlitten, was?«, sagte er. »75 PS, 1500 Kubik, 4 Zylinder. Geht ab wie, wie –« Ihm fehlten die Worte.
    »Wie ein Sputnik?«
    »Genau. Hat aber Platz für fünf. Willst du dich mal hinters Steuer setzen?«
    Ich lief so rot an wie der Lack. Siefken öffnete die Fahrertür und ließ mich hinterm Lenkrad Platz nehmen.
    »Oh Mann«, staunte ich, »der Tacho geht ja bis 160!«
    »Schafft er auch fast«, sagte Siefken, »aber natürlich nicht mit Anhänger.«
    »Schon enorm«, sagte ich erfürchtig. »Und sogar Radio.«
    »Wat mutt, dat mutt«, sagte Siefken auf Baustellenplatt. »Die Blümchen da in der Vase sind was Nettes für meine Freundin. Und die Liegesitze auch.« Er kniff grinsend ein Auge zu. »Du weißt schon –«
    Ich nickte aufgeklärt und nahm an, dass Siefken im Auto mit seiner Freundin das machte, was die Halbstarken mit ihren heißen Bräuten unter den zugeklappten Planen der Raupenbahn machten. Verglichen mit Siefkens heißem Schlitten waren die Liebeslauben der Raupe natürlich kümmerlicher Kinderkram. Eine Erektion bekam ich trotzdem. Hoffentlich merkte Herr Siefken nichts.
    »Morgen hänge ich noch den Wohnwagen an. Und dann geht’s ab nach Capri.« Er lächelte versonnen. »Bella Italia. Dolce Vita. Ja, ja –«
    Dollsche Wieta war vermutlich etwas Schweinisches. »Dufte«, sagte ich. »Da würde ich auch mal gerne hin.«
    »Macht ihr dies Jahr denn gar keinen Urlaub?«, fragte er.
    »Doch«, sagte ich. »Meine Schwester ist schon weg. Sprachferien in Frankreich. Wegen der deutsch-französischen Freundschaft.«
    »Oh, là, là«, sagte Siefken.
    »Meine Eltern fahren für 14 Tage nach Langeoog.«
    »Auch schön«, sagte er, aber es klang eher mitleidig. »Und was machst du?«
    »Zeltlager«, sagte ich. »Pfadfinder.«
    Pfadfinder stimmte nicht ganz, weil ich dem evangelischen Siefken nicht sagen wollte, dass der Bund Neudeutschland, kurz ND, das katholische Konkurrenzunternehmen zur protestantisch dominierten Pfadfinderschaft war. Ich entstammte nämlich einer sogenannten Mischehe. Die Familie meiner Mutter war evangelisch, aber mein Vater war katholisch. Er sagte, dass ihm der Krieg den Glauben genommen habe, und ging auch nicht in die Kirche, obwohl er noch Mitglied war und über die Kirchensteuer murrte. Seine Eltern waren sehr gut katholisch gewesen und 1944 bei einem Luftangriff beide ums Leben gekommen. Das, sagte mein Vater, habe ihn endgültig vom Glauben abfallen lassen, aber trotzdem oder vielleicht gerade deshalb, als eine Geste gegenüber seinen toten Eltern, hatte er Wert darauf gelegt, dass Hanna und ich katholisch getauft wurden und katholischen Religionsunterricht mitmachten. Schaden könne das nicht, meinte er. Ministrant musste ich zwar nicht werden, landete aber statt bei den Pfadfindern beim ND.

    Hoch überm grauen Band der Straße griff das Geäst der Chausseebäume ineinander. Die Naben tickten gleichmäßig, die Reifen surrten auf dem Asphalt; die Gepäckträger der Fahrräder waren mit Satteltaschen und Rucksäcken bepackt, und einer von uns hatte die Wimpelstange so hinter dem Sattel befestigt, dass der Fahnenstoff im Fahrtwind knatterte: das Fähnlein Sankt Christopherus des ND. Wir trugen lindgrüne, paramilitärische Hemden mit

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