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Klack: Roman (German Edition)

Klack: Roman (German Edition)

Titel: Klack: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Modick
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Achselklappen und aufgesetzten Brusttaschen, Fahrtenmesser an den Gürteln, und manch eines der mitgeführten Kochgeschirre, meins auch, hatte bereits unseren Vätern gedient. In Russland und anderswo. Doch unsere Fahrt war friedlich und führte ins große Sommerzeltlager, das wir nach einigen Stunden mit schmerzenden Schenkeln, verkrampften Waden und wund gescheuerten Hintern erreichten.
    Andere Fähnlein waren bereits da, manche trafen erst nach uns ein. Wir schlugen die Kote auf, ein Rundzelt mit Rauchloch, rollten Luftmatratzen und Schlafsäcke aus. Das Lager gruppierte sich um das gemeinsame Küchenfeuer, über dem in verrußten Hordentöpfen Nudeln, Suppen und Eintöpfe abgekocht wurden, zu denen es Bundeswehrschwarzbrot aus Dosen gab, Panzerplatten genannt. Auch zum Frühstück gab es Panzerplatten mit Mehrfruchtmarmelade aus einem 10-Liter-Eimer, dazu Muckefuck.
    Unter Anleitung unseres Oberhirten, eines schneidigen Paters, wurde aus Birkenstämmen ein Lageraltar für morgendliche Messen und abendliche Andachten zusammengezimmert. Die weltlicheren Aktivitäten des Lagers bestanden aus allerlei Leibesertüchtigungen; es gab sogar eine Lagerolympiade. Wichtiger als der Sport war allerdings das Holzsammeln in den umliegenden Wäldern, denn wenn die Dämmerung fiel, fand das Lager im Ritual des Lagerfeuers zu sich selbst. Zu schrammelnden Klampfen und jammernden Mundharmonikas grölten wir uns durch Wir lagen vor Madagaskar, beschworen mit Hava Nagila unsere Toleranz und Internationalität, pfiffen zackig den River-Kwai-Marsch und versanken mit Wildgänse rauschen durch die Nacht in einem seelenvollen Wir-Gefühl. Anschließend sprach der Pater noch ein kerniges Nachtgebet, aus dem zum Beispiel hervorging, dass Jesus eine Art Duzfreund von uns war.
    Eines Abends sangen wir gerade »Der Globus quietscht und eiert, der Rost sitzt überall, bald ist er ausgeleiert, der –«, als der Pater plötzlich in den Feuerschein trat und mit energischer Geste und lautstark wie ein Feldwebel »Ruhe!« brüllte.
    »– alte Erdenball.«
    »Ruhe! Jungs! Alle mal herhören. Ich habe eben in meiner Anodenwumme Das Echo des Tages gehört. Es ist etwas Schlimmes passiert. Vielleicht habt ihr mitbekommen, dass schon seit einigen Tagen in der Ostzone Grenzübergänge gesperrt worden sind. Heute haben die Kommunisten damit begonnen, an den Grenzübergängen Mauern zu bauen. Richtige Mauern, Jungs. Stellt euch das mal vor.«
    Ich versuchte es mir vorzustellen. Richtige Mauern? Ich dachte an den ehemaligen Maurer und heutigen Borgwardbesitzer Siefken, der inzwischen mit seiner Freundin auf Capri Dolce Vita machte.
    »Der Eiserne Vorhang«, fuhr der Pater fort, »wird zu einem Vorhang aus Beton. Niemand darf mehr raus. Niemand kann mehr rein. Die Zone wird zum Gefängnis. Wir wollen jetzt für unsere Brüder und Schwestern in der Ostzone ein stilles Gebet sprechen. Aufstehen, Jungs!«
    Wir standen ums Funken sprühende Lagerfeuer, manche mit gefalteten Händen, manche mit männlich verschränkten Armen, und mimten stilles Gebet. Mir fiel auch keins ein. Ein Ave Maria für Tante Grete, ein Vater Unser für Onkel Ernst? Kommunisten waren doch Atheisten. Was nützte denen denn unser Gebet?
    Indem er sich räusperte, verkündete der Pater das Ende der Gebetszeit. »Singt weiter, Jungs«, rief er munter, »singt Wir wollen nicht wanken noch weichen.«
    Das kannte aber niemand außer dem Pater. Und natürlich Harald Deters. Harald war der schleimigste Streber, der mir je im Leben begegnet war, trug Lehrern die Taschen, ließ nie bei sich abschreiben und war in Sport eine Null.
    »Dann singt Dschoschua, Jungs!«, rief der Pater, weil er wohl keine Lust hatte, mit Harald allein zu singen. »Das passt!«
    Und jetzt alle: »Dschoschua fitte bättel of Dscheriko, Dscheriko, Dscheriko, Dschoschua fitte bättel of Dscheriko, änd se wolls käm tambling daun.«
    Unser Gesang hätte Mauern zum Einstürzen gebracht, aber im Zeltlager gab es zum Glück keine.
    Lagerwachen, die unseren Schlaf behüten sollten, wurden jede Nacht eingeteilt. Diesmal herrschte allerhöchste Alarmstufe, hatten unsere Späher doch wenige Kilometer entfernt ein evangelisches Pfadfinderlager ausgemacht, und mit einem Überfall der Protestanten war jederzeit zu rechnen.
    »Vertraut auf Jesus und seid wachsam, Jungs«, sagte der Pater, und es klang so, als rechnete er nicht nur mit protestantischen Barbaren, sondern womöglich mit den Russen. Vielleicht waren die Sowjets ja auch

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