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Klack: Roman (German Edition)

Klack: Roman (German Edition)

Titel: Klack: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Modick
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können, oder etwas, das mich bei ihr hätte bleiben lassen. »Du hast doch gesagt, dass du Mandoline spielst? Und dein Vater Gitarre? Und dass er mir das vielleicht beibringen kann?«
    »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Papa hat wenig Zeit. Aber viel Arbeit. Vielleicht später.«
    Schweigen.
    »Ich glaube, ich muss jetzt gehen«, sagte ich schließlich. »Abendessen. Dann sehen wir uns also erst im nächsten Jahr wieder?« Im nächsten Jahr klang wie in einer Ewigkeit.
    »Natürlich, im neuen Jahr.«
    »Ja, also dann auf Wiedersehen«, murmelte ich.
    »Wiedersehen, Markus. Und fröhliche Weihnachten. Auguri!«
    »Fröhliche Weihnachten. Und gute Reise.«

    Ich verließ den Schandfleck durch den Vordereingang und ging aufrecht, ein Komplize und Liebhaber der Farbe Rot, im Lichtschein der Straßenlaterne durch den grauen Nieselregen. Obwohl aus den Fenstern Licht brach, kam mir unser Haus düster, kalt und drohend vor.
    »Wie konnte das denn nur passieren?«, sagte meine Mutter kopfschüttelnd und zeigte auf den Riss in meiner Hose.
    Ich tat so, als hätte ich das Malheur noch gar nicht bemerkt, zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung.«
    »Und ausgerechnet an der Stelle. Na ja, das lässt sich noch flicken.«
    »So sind Jungs nun mal.« Mein Vater schmunzelte. Wenn er daran denke, was er in meinem Alter mit seinen Brüdern so alles angestellt habe, damals, vorm Krieg, Äpfel geklaut und quer durch die Brombeeren, da hätte seine Mutter auch immer alle Hände voll zu tun gehabt. Und dann erst im Krieg! Im Lager habe es einen Russen gegeben, der von Beruf Schneidergeselle gewesen sei. Der habe sich aus Holz- und Knochensplittern Nähnadeln gebastelt und damit wahre Wunderdinge vollbracht. Der Russe sei bekanntlich ein Improvisationsgenie, gebe sich mit primitivsten Mitteln zufrieden. Wenn er daran denke, woraus die sich da Suppen gekocht hätten, Löwenzahn, Kartoffelschalen, Ratten und –
    »Also bitte«, sagte meine Mutter und nahm meinem Vater damit den Faden aus der Hand beziehungsweise aus dem Sinn. »Aber da du gerade von Fritz geredet hast – wann kommt der eigentlich an?«

    Onkel Fritz kam zwei Tage später zu einem seiner sporadischen Weihnachtsbesuche. Hanna und ich holten ihn am Bahnhof ab. Er war von Mallorca nach Madrid geflogen und von Madrid nach Hamburg, von wo er dann mit der Bahn weiterreiste. Mallorca! Madrid! Mit einem Flugzeug! Hanna und ich waren begeistert. Das war die große weite Welt, die wir selbst nur aus der Peter-Stuyvesant-Reklame kannten. Onkel Fritz wiegelte zwar ab und behauptete, Fliegen sei unbequem, aber das sagte er wahrscheinlich nur aus Bescheidenheit. Aus Lässigkeit. Und lässig gekleidet war er auch, trug einen khakifarbenen Trenchcoat, der mit Pelz gefüttert war, einen breitkrempigen Hut wie James Coburn in Die glorreichen Sieben und einen Leinenanzug ohne Bügelfalten. Statt eines Koffers hatte er eine Leinentasche mit einem Bügelverschluss aus Metall. Er sah aus wie einer, der Heimaturlaub von einem abenteuerlichen Leben machte und jederzeit bereit war, die Heimat fürs Abenteuer wieder zu verlassen. Meine Bewunderung für ihn war so grenzenlos wie das Leben, das er zu führen schien.
    Und auch Hanna war fasziniert. Irgendwie versuchte sie sogar mit ihm zu flirten, verhielt sich jedenfalls noch koketter als sonst, obwohl oder weil sie wusste, dass er vom anderen Ufer war, und Onkel Fritz flirtete zurück, charmant und harmlos, weil Hanna seine Nichte und Frauen nicht sein Fall waren.
    Als unser Haus in Sicht kam, sang er halblaut vor sich hin. »Le memorie del pretto riaccendi, ci favella del tempo che fu –« Er grinste. »Verdi«, sagte er, »Chor der Gefangenen. Heißt auf Deutsch: Nur die Erinnerung gibt uns Kraft zu erdulden, was uns hier bedroht. Na ja, ganz so schlimm wird’s schon nicht werden.«
    »Kannst du etwa auch Italienisch?«, staunte ich.
    »Nur Opern«, sagte er. »Solo un piccolo poco.« Er stutzte, blieb stehen und deutete auf den Stacheldrahtzaun. »Was ist denn hier passiert? Nachbarschaftsfehden?«
    »Das hat auch was mit Italien zu tun«, sagte ich, »weil nämlich –«
    Aber in diesem Moment erschien Oma in der Haustür, rief »Sei mir gegrüßt, du lieber Junge!« und breitete theatralisch die Arme aus. Onkel Fritz küsste sie auf beide Wangen und nahm für die Zeit seines Besuchs Quartier in Omas Gästezimmer, das früher auch mal ein Kinderzimmer gewesen war.

    Die Beschaffung des Tannenbaums galt als Männersache, und ich war stolz,

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