Klack: Roman (German Edition)
sagte er.
Dann steckte mein Vater die Kerzen am Baum an, und damit niemand auf die abseitige Idee verfiel, an Weihnachten ginge es nur um Geschenke, musste vor der Bescherung gesungen werden. Oh Tannenbaum und Leise rieselt der Schnee, obwohl es bei etwa sechs Grad plus regnete, Es ist ein Ros entsprungen, bei dem Onkel Fritz immer Ross sang, als sei ein Pferd geflohen, Vom Himmel hoch, weil es von Luther war, und schließlich Stille Nacht, wobei Onkel Fritz mir zuzwinkerte und ich mir das Lachen verkneifen musste. Onkel Fritz hatte mir nämlich heute Nachmittag erzählt, der Vorname von Jesus laute Ohwie: »Gottes Sohn, oh wie lacht.«
Damit war die Bescherung hinlänglich ins dekorative Papier der Besinnlichkeit eingewickelt, um sich guten Gewissens dem Auspacken der materiellen Geschenke widmen zu können. So wie meine Eltern vor einigen Jahren noch schlank, wenn nicht hager gewesen waren, inzwischen aber stattliche Wohlstandswampen vor sich herschoben, waren auch die Bescherungen ins überaus Üppige gewuchert. Früher hatten Hanna und ich das Notwendige zu Weihnachten bekommen, Socken, Hosen, Mäntel, dazu vielleicht noch das eine oder andere bescheidene Spielzeug, und die Erwachsenen hatten sich mit Frotteehandtüchern, Krawatten und Bettwäsche glücklich gemacht. Aber inzwischen kamen unter Seidenpapier und Samtschleifen Schmuck und Parfüm (Schenke von Herzen, doch was es auch sei, 4711 immer dabei) zum Vorschein, elektrische Kaffeemühlen, Handmixer und Kartoffelschälmaschinen, Nerzmützen, Krokotäschchen und Kaschmirschals. Früher hatte meine Mutter das benutzte Geschenkpapier noch sorgfältig geglättet und gefaltet, die Bänder zusammengerollt und später aufgebügelt, um sie im kommenden Jahr erneut zu verwenden, aber jetzt landete alles im Müll. Uns ging es, wie Oma sagte, wieder gold, und alles war einfach wirtschaftswunderbar.
Die Gitarre lag im Glanz der Kerzen unterm Weihnachtsbaum. Mein größter Wunsch war in Erfüllung gegangen, und das war gar nicht so selbstverständlich. Oma hatte nämlich gesagt, eine Gitarre sei eigentlich gar kein richtiges Musikinstrument, zwar nicht so unmanierlich wie eine Mandoline, die etwas für Zigeuner sei, oder so primitiv wie ein Akkordeon, das als Quetschkommode etwas für Vagabunden oder als Schifferklavier etwas für Seemänner sei, aber eben doch bedenklich unseriös. Hatte nicht auch dieser Elvis Pressluft oder wie auch immer er hieß eine Gitarre um den Hals hängen, wenn er vor hysterischen Backfischen mit den Hüften wackelte? Nein, seriös waren Streichinstrumente, und seriös war vor allem das Klavier, das sie, ererbt von ihrem Vater als Summe ihres ästhetischen Empfindens mit in den Hausstand gebracht hatte. Oma konnte gar nicht Klavier spielen und war komplett unmusikalisch, hegte aber wohl das Gefühl, dass es einfach »dazugehörte«, für musikalisch gehalten zu werden. Das zugeklappte Musikding, von dem der Staub immer besonders streng gewischt wurde, repräsentierte und ersetzte ihr die Musikalität. Hanna hatte vor ein paar Jahren sogar mal Klavierunterricht bekommen und gelegentlich auf Omas gutem Stück geübt, war aber unbegabt und verlor schnell die Lust. Und so diente das Klavier inzwischen wieder als reines Schau- und Prunkobjekt mit einem Spitzendeckchen auf dem Deckel, auf dem die in Silber und Mahagoni gerahmten Familienfotos drapiert waren.
Das Instrument, eine schlichte Wandergitarre aus Fichtenholz aus der Musikalienhandlung Brandner, hatte ich mir natürlich deshalb gewünscht, weil es mich Clarissa näher bringen sollte. Vielleicht ahnte Oma das, denn sie runzelte angesichts der Gitarre die Stirn, sagte aber nichts, vorerst jedenfalls nichts, zu dieser musikalischen Unmanierlichkeit, weil sie den Weihnachtsfrieden wohl nicht stören wollte. Es reichte ja schon, dass Onkel Fritz ständig seine despektierlichen Bemerkungen machte.
Zwischen Weihnachten und Neujahr reiste er wieder ab, um Silvester auf seiner Finca in Mallorca zu verbringen, »in besserem Klima und unter Freunden«. Da er Klima statt Wetter sagte, konnte man das auch auf andere Bedingungen als die nasse Kälte Norddeutschlands beziehen, und das Wort von den Freunden betonte er so, als sei Freundschaft etwas Wichtigeres als Familie.
Oma verabschiedete ihn zwar so theatralisch, wie sie ihn empfangen hatte – »So lebe dann wohl, mein geliebter Junge«, tremolierte sie und winkte ihm mit einem Taschentuch nach –, schien aber nicht sonderlich betrübt zu
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