Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Klack: Roman (German Edition)

Klack: Roman (German Edition)

Titel: Klack: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Modick
Vom Netzwerk:
Theoretisch schon Italien, aber man spreche dort einwandfreies Deutsch.
    Unterdessen machten sich seine Männer ans Werk. Ich beobachtete die Demarkationsmaßnahmen vom Fenster aus. Das Metallgestänge, das wohl zum Aufbau einer Markise vor dem Wagen diente, wurde in den Ostteil verschoben. Der Wagen selbst blieb, wo er war; mit der Dachtraufe würde man sich irgendwie arrangieren müssen. Im durch Omas Augenmaß festgelegten Grenzverlauf zwischen Birne und Kastanie wurden die Johannisbeer- und Stachelbeerbüsche auf Bodenniveau gekappt, was der kommenden Ernte auch nicht sonderlich zuträglich sein konnte. Von meinem Beobachtungsposten sah die Schneise wie ein Schussfeld im Miniaturformat aus. Dann gruben Siefkens Truppen zwischen den beiden Grenzbäumen einige Löcher, in die sie etwa ein Meter fünfzig hohe Holzpfosten setzten. An der Oberkante und in der Mitte der Pfähle spannten sie schließlich je eine Reihe Stacheldraht.
    Nach getaner Arbeit inspizierte Oma die Grenzbefestigung und war mit dem Ergebnis offenbar zufrieden, weil sie den Arbeitern je eine Flasche Germania-Pils in die Hand drückte. Sie rauchten filterlose Junos (Aus gutem Grund ist Juno rund), setzten sich die Flaschen an den Hals, packten ihr Werkzeug zusammen und entschwanden mit dem dreirädrigen Transporter Tempo Hanseat unter Fehlzündungen in Richtung Feierabend.
    Der Schnee, der vor einigen Tagen noch weiße Weihnachten versprochen hatte, war zu schmutzigem Matsch getaut. Nieselregen tanzte wie ein Schleier im Lichtkegel der Straßenlaterne, und plötzlich platzte auch Licht aus den Wintergartenfenstern des Schandflecks, und die Tür wurde geöffnet. Zusammen mit ihrem Vater näherten sich Clarissa und Enzo durch den dunklen Garten dem Zaun. Ich lief nach draußen, bahnte mir einen Weg durchs verschont gebliebene Strauchwerk und stand dann den dreien gegenüber. Es war so dunkel, dass ich ihre Gesichter kaum erkennen konnte.
    »Guten Abend«, sagte ich beklommen und fröstelnd.
    »Hallo Markus«, rief Enzo fidel.
    »Buonasera«, sagte Herr Tinotti.
    Clarissa sagte nichts, und mehr fiel auch mir nicht ein.
    Schweigen. Nur ein paar Sekunden lang, aber endlos und unendlich peinlich.
    »Wofür Zaun?«, sagte schließlich Herr Tinotti, was die Peinlichkeit nur noch schlimmer machte, weil ich keine Antwort wusste.
    Ein unwiderstehlicher Impuls trieb mich dazu, den oberen und unteren Draht so weit wie möglich auseinanderzudrücken und mich durch die Lücke zu zwängen, nach drüben zu gehen und mich auf ihre Seite zu schlagen, Clarissa nahe zu sein. Der Stacheldraht riss mir im Schritt ein Loch in die Hose.
    »Willst du mit uns einen Tee trinken?«, fragte Clarissa.
    »Tee?« Ich wunderte mich. Tranken Italiener nicht Kaffee? Oder Wein? »Ja, gern.« Ich nickte heftig.
    »Avanti allora«, sagte Herr Tinotti und ging uns durch den Wintergarten voraus.
    Da der Grundriss des Hauses identisch mit unserem war, kam mir alles vertraut und heimisch vor, und dennoch war es eine andere Welt. Auch von innen machte der Schandfleck seinem Namen alle Ehre. An den Zimmerdecken gab es braune Wasserflecken, an manchen Stellen wölbten sich die Tapeten von den Wänden, an Lichtschaltern und Steckdosen fehlten die Verkleidungen. Die Küchentür lehnte ausgehoben an der Flurwand. In der Küche standen außer der Steingutspüle und dem Gasherd nur ein wackeliger Resopaltisch, vier Hocker mit Binsengeflecht und das altersschwache Gründerzeitbüfett, das wohl Schulenbergs bei ihrem Auszug hinterlassen hatten, weil es zu sperrig war.
    So demontiert und trostlos das alles wirkte, so sauber war es. Auf dem Tisch stand in einem Gurkenglas ein Strauß Strohblumen. An der Wand über dem Spülbecken hingen zwei Plakate. Das eine zeigte eine rote Flagge mit Stern, Hammer und Sichel in gelber Farbe, unterlegt mit einer grün-weiß-roten Fahne. Darunter stand in Großbuchstaben P. C. I. AVANTI POPOLO. Rote Fahne, Hammer und Sichel? Das war doch das Symbol des Kommunismus! Au weia, wenn Oma das wüsste! Ich biss mir auf die Unterlippe. Das andere Plakat zeigte einen aufwärts gereckten Arm mit geballter Faust. Der Daumen war wie ein L geformt, und die vier Fingerknöchel bildeten die Buchstabenfolge OTTA. Auf dem Arm stand CONTINUA. An der gegenüberliegenden Wand hingen eine Landkarte Italiens und das gerahmte Schwarz-Weiß-Foto eines Hauses.
    Herr Tinotti, den ich vorher noch nie aus der Nähe gesehen hatte, trug einen mit Farbspritzern übersäten Blaumann, und auch an

Weitere Kostenlose Bücher