Klack: Roman (German Edition)
seinen Händen klebten Farbreste. Ob die sich womöglich auch wie LOTTA lasen, was immer das bedeuten mochte? Er war wohl eben erst von der Renovierungsarbeit seiner Eisdiele aus der Stadt zurückgekommen. Sein schwarzes Haar war in der Stirn schon gelichtet und an den Schläfen ergraut, weshalb ich sein Alter auf mindestens 50 schätzte, obwohl er vermutlich erst Anfang 40 war.
»Benvenuto«, sagte er, deutete auf einen Schemel und nahm selbst Platz, während Clarissa in einem Blechkessel Wasser auf den Herd setzte. Sein Deutsch war nicht besonders gut, aber man konnte leicht verstehen, was er sagte, auch wenn ihm manchmal die richtigen Worte fehlten, und das, was ich sagte, verstand er offenbar problemlos. Erst einmal wusste ich aber gar nicht, was ich sagen sollte. Ihm war wohl nicht entgangen, dass ich mich in Wintergarten, Flur und Küche umgeschaut hatte. Er nickte mir freundlich zu und sagte, das sei kein schönes Haus, das wisse er wohl, aber es sei ja auch nur –
»Come si dice, provvisoriamente?«
»Vorübergehend«, sagte Clarissa.
Er nickte. Das Haus habe er nur für ein Jahr gemietet.
»Limitato temporalmente.«
»Befristet«, sagte Clarissa.
Danach, habe man ihm erklärt, werde das Haus nämlich abgerissen. Deshalb habe sich auch so lange kein Mieter gefunden. Für ihn sei das aber eine gute Gelegenheit, weil die Miete sehr niedrig sei und er in der Zwischenzeit in aller Ruhe die Eisdiele einrichten und sich nach einer besseren Wohnung umschauen könne. Dann werde alles gut.
Clarissa stellte derbe weiße Steinguttassen ohne Untertassen auf den Tisch und schenkte Tee ein. Er roch nach Jasmin. Statt Zucker gab es Honig. Der sei von ihren Nachbarn daheim in Italien. Herr Tinotti nippte nur kurz an seiner Tasse, stand auf und sagte, er müsse jetzt erst einmal duschen, und verließ die Küche. Enzo lief ihm nach.
Da saß ich nun allein mit Clarissa am Tisch und rührte verlegen in der Teetasse. Ich traute mich nicht, ihr in die Augen zu sehen, wusste nicht, was ich sagen sollte, glotzte die Plakate an.
»Lotta?«, sagte ich schließlich. »Ist das ein Name?«
Sie lachte. »Das auch, ja.«
»Ach so.«
Schweigen.
»Und von wo kommt ihr her? Ich meine, wo genau in Italien?«
Sie stand auf und stellte sich vor die Landkarte. »Schau mal.«
Ich stellte mich hinter sie.
Mit der Fingerspitze fuhr sie langsam den italienischen Stiefel abwärts und tippte ganz unten am Absatz auf einen schwarzen Punkt. »Da«, sagte sie.
Ich blickte ihr über die Schulter, berührte dabei wie zufällig mit der Brust ihren Rücken, sog den Duft ihres Haars ein, Lavendel, Jasmin, hoffte, dass sie meine Erektion nicht spürte, fürchtete und hoffte zugleich, sie möge sie spüren, dort, wo der Stacheldraht meine Hose aufgerissen hatte. Ob ihr Schlüpfer wohl so blutrot war wie die Fahne mit Hammer und Sichel? Ich starrte auf den hell schimmernden, schmalen Nagel ihres Zeigefingers, der das Wort neben dem schwarzen Punkt unterstrich.
»Fasano«, sagte sie, ohne von mir abzurücken, »in Apulien.«
Ich berührte mit der Hand ihre Schulter.
»Nicht«, sagte sie sanft. »Mein Papa –« Durch die Küchenwand, hinter der sich das Badezimmer befand, hörte man das Rauschen der Dusche. »Und schau mal hier.« Sie zeigte auf das eingerahmte Foto. Ein mit schadhaften Ziegeln gedecktes Haus aus groben Natursteinen, dunkle Fensterhöhlen, deren Rahmen weiß gestrichen waren. Davor Oleanderbüsche und Zypressen. »Da wohnen Nonna und Nonno, meine Großeltern, die Eltern von Mamma. Sie haben Schafe und Ziegen und Olivenbäume. Auch Zitronenbäume. Es riecht so gut, wenn sie blühen. Und Orangen. Der Honig ist aber von den Nachbarn. Die machen auch Wein. Wenn man vorm Haus steht, kann man das Meer sehen. Da ist es wunderschön.«
»Das kann ich mir denken.«
»Wir besuchen sie in den Weihnachtsferien«, sagte sie. »Übermorgen fahren wir los. Ich freu mich schon. Da ist es wärmer als hier.«
»Übermorgen?« Ich verzog das Gesicht, als hätte ich in eine Zitrone gebissen. »Du, ich meine ihr fahrt übermorgen nach Italien?«
Sie nickte, setzte sich wieder an den Tisch und lächelte mir zu, mütterlich fast, als müsse sie mich trösten. »Möchtest du noch Tee?«
»Ich, nein, danke. Aber wir wollten doch noch – ich meine, du und ich, wir wollten zusammen Die glorreichen Sieben –«
Sie rührte Honig in die Tasse und gab keine Antwort.
Schweigen.
Ich suchte krampfhaft nach etwas, mit dem ich sie hier hätte halten
Weitere Kostenlose Bücher