Klack: Roman (German Edition)
wegen der immer noch angespannten Situation auf dem Wohnungsmarkt als schwierig erweist und die Zeit knapp ist (Herr Lemartin nimmt seine verantwortungsvolle Tätigkeit bereits am 15. Januar auf und ist derzeit noch in einer Pension untergebracht), ersuchen wir Sie hiermit um Ihre Hilfe. Sollten Sie eine entsprechende Unterbringungsmöglichkeit zur Verfügung stellen können, wenden Sie sich bitte schnellstmöglich an eins der Sekretariate der beteiligten Schulen.
Mit einem herzlichen »Merci infiniment«
gez. Wölk (Oberstudiendirektor)
»Französisch also«, sagte mein Vater, nachdem er den Brief gelesen hatte, »dagegen lässt sich im Prinzip nichts einwenden. Dieser de Gaulle scheint ja noch einen gewissen Respekt vor Deutschland zu haben. Immerhinque. Versteht sich auch gut mit Adenauer. Aber was heißt infiniment?«
»Wenn ich Französisch statt Latein hätte, wüsste ich’s«, sagte ich.
»Latein muss sein«, befand mein Vater. »Latein ist die Basis von allem, sogar die Basis meiner Apotheke. Aber wie gesagt, nichts gegen Französisch.«
»Hätte ich auch gern gelernt«, sagte Hanna, »aber jetzt ist es zu spät.«
»Und dieser Brief kommt auch reichlich spät«, sagte meine Mutter. »Zum 15. Januar? Das ist ja schon in einer Woche.«
»Aber das Juchhe steht doch leer«, sagte ich. »Herr Tabbert sitzt im Knast.«
Es hatte sich nämlich herausgestellt, dass der verhaftete Juchhebewohner kein Ost-Spion, Heiratsschwindler oder Kinderschänder und schon gar kein ehemaliger KZ-Aufseher war; auf seinen Vertretertouren hatte er sich lediglich in den Pensionen und Hotels, in denen er wohnte, unter falschem Namen angemeldet und dann systematisch die Zimmer- und Restaurantrechnungen geprellt. Jetzt beglich er die Zeche mit einer Gefängnisstrafe. Die Miete fürs Juchhe hatte er allerdings immer pünktlich bezahlt.
»Das Juchhe?«, überlegte mein Vater. »Mh mh mh –«
»Warum denn nicht?«, sagte ich. »Oder hat Oma etwa auch was gegen Franzosen?«
»Was heißt hier auch?«
»Dieser alberne Zaun im Garten. Der sieht doch aus wie die Zonengrenze. Nur weil Tinottis –«
»Jetzt werd mal bloß nicht unverschämt.« Mein Vater zog warnend die Stirn kraus.
»Pst«, machte meine Mutter. »Tagesschau.«
Karl-Heinz Köpcke informierte uns, dass die in der Nähe des Berliner Checkpoint Charlie stationierten Panzer abgezogen würden –
»Wenn das mal gut geht«, sagte meine Mutter.
– und dass die Ostzone einen Visazwang für Ausländer einführe, da, so Walter Ulbricht, das Völkerrecht gegenüber der sogenannten DDR geachtet werden müsse.
»Da lachen ja die Hühner«, sagte mein Vater. »Was sich der Spitzbart wieder herausnimmt.«
Oma hatte nichts gegen Franzosen, jedenfalls im Prinzip nicht, obwohl die in Berlin einen Sektor kontrollierten. Franzosen seien ein Volk mit Stil und Kultur, wenn auch in Fragen der Moral allzu lässig. Gegen Elsässer hatte sie rein gar nichts, weil eine ihrer Tanten aus Colmar stammte. Und weil es sich um den Emissär eines Ministeriums handelte, unterstellte Oma dem Kandidaten »von Natur aus« eine gewisse Seriosität und Solvenz, weswegen man den Mietpreis von bisher 80 Mark zuzüglich 5 Mark für den Stromverbrauch des Heizlüfters bedenkenlos auf 90 Mark anheben konnte. Im Übrigen gab es in Sachen laxer Moral im Mietvertrag einen einschlägigen Paragraphen, der Damenbesuch nur bis 20 Uhr gestattete. Und so wurde ich beauftragt, morgen früh im Schulsekretariat Meldung zu machen, dass wir bereit seien, Herrn Lemartin unter unserem Dach willkommen zu heißen.
Am nächsten Nachmittag erschien er, um sich vorzustellen und das Zimmer in Augenschein zu nehmen. Man hätte ihn für einen Pastor halten können, weil er ganz in Schwarz gekleidet war – Mantel, Hut, Anzug, Rollkragenpullover, Schuhe, Aktenmappe, alles schwarz. Vermutlich trug er auch schwarze Unterhosen und benutzte schwarze Taschentücher. Dunkelblond waren allerdings sein Bürstenhaarschnitt und der scharf ausrasierte, dünne Bartstreifen, der sein Gesicht umrahmte und wie aufgemalt aussah. Oma begrüßte ihn mit einer französischen Floskel, die sie vorher wohl auswendig gelernt hatte. Er lächelte zuvorkommend und erklärte in akzentfreiem Deutsch, man möge sich keinen Zwang antun, er sei zweisprachig.
»Wie es sich für einen Elsässer gehört«, sagte Oma.
»Ganz recht, Madame.«
Ich konnte Oma ansehen, dass ihr der Mann gefiel. Madame sagte schließlich nicht jeder zu ihr. Madame ging ihr runter
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