Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Klack: Roman (German Edition)

Klack: Roman (German Edition)

Titel: Klack: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Modick
Vom Netzwerk:
wie Öl.
    »Mein Enkel Markus zeigt Ihnen jetzt die Räumlichkeiten«, sagte Oma salbungsvoll, als sei ich ihr Lakai. Fürs Juchhe war Räumlichkeiten natürlich ein ziemlich aufgeblasenes Wort, aber wenn Omas preziöse Ader schwoll, kannte sie kein Pardon. »Und anschließend kommen Sie zu mir auf eine Tasse Tee und wir regeln die Formalitäten.«
    »Mit Vergnügen, Madame.«
    Ich ging mit Herrn Lemartin die Stiege hinauf. Er sah sich im Juchhe flüchtig um, drückte mit der Hand prüfend die Bettmatratze zusammen, warf einen Blick aus der Dachluke, zuckte mit den Schultern und lächelte etwas schief. »Für ein halbes Jahr wird es gehen«, sagte er. »So lebt man ja wohl auch in der Pariser Boheme, nicht wahr?« Er zwinkerte mir zu, als wüsste ich, was er meinte.
    »Natürlich«, sagte ich, obwohl ich durchaus nicht wusste, was er meinte.
    Pariser Boheme klang aufregend versaut und irgendwie verrucht. Ich grinste und dachte an die Pariser, die man in Herrentoiletten aus Automaten mit der Aufschrift Fromms ziehen konnte. Ich wusste, welcher Verwendung sie dienten, wünschte mir dringend, sie endlich an mir selbst erproben zu können, und dachte an Clarissa. Rudi Wiechers hatte neulich seinem großen Bruder so ein schweinisches Gummiding entwendet, mit in die Schule gebracht und in der großen Pause unter dem Trinkwasserhahn mit Wasser gefüllt, bis das Ding wie ein gurkenförmiger Ballon aussah. Ich sah fasziniert zu, dachte an Clarissas roten Schlüpfer und wurde selber knallrot, weil ich mich für den Gedanken schämte. Rudi kicherte verschwörerisch und meinte, solche Präser müsse man immer in der Tasche haben, weil man ja nie wisse, wann man sie brauchen würde. Sein Bruder sei jedenfalls allzeit bereit. Dann verknotete er das offene Ende, warf das Ding als Wasserbombe aus einem Fenster im dritten Stock und rief: »Volle Deckung! Atomschlag!« Die Bombe schlug ein paar Meter vor Frau Holle ein, der auf dem Schulhof Pausenaufsicht hatte, während wir kichernd das Weite suchten.
    Pariser Boheme also. Gut, dass Oma das nicht gehört hatte. Die Formalitäten regelte sie ohne mich mit Herrn Lemartin bei Tee und Spritzgebäck. Anschließend schwärmte sie in den höchsten Tönen von diesem charmanten und gebildeten, polyglotten Menschen, der Pfeifenraucher sei und zudem höchst musikalisch sein musste, hatte er doch angesichts von Omas Klavier eine dezente Andeutung gemacht, selber gern in die Tasten zu greifen. Oma hatte ihm in Aussicht gestellt, sein Talent gelegentlich unter Beweis stellen zu dürfen, obwohl das Klavier wahrscheinlich hoffnungslos verstimmt war. Jedenfalls zog Herr Lemartin am nächsten Tag ins Juchhe, und schon bald sollte sich erweisen, dass das Klavier noch stimmte – und Hanna plötzlich wieder unerwartetes Interesse an Klavierunterricht entwickelte.

    Clarissas Rückkehr aus Italien hatte ich sehnsüchtiger erwartet als an Heiligabend die Bescherung. Am letzten Abend der Weihnachtsferien gingen im Schandfleck wieder die Lichter an, aber Clarissa bekam ich nicht zu Gesicht, obwohl ich vom Fenster aus stundenlang Garten und Hauseingang beobachtete. Einfach an der Tür zu klingeln traute ich mich nicht. Wenn meine Eltern oder Oma das sehen würden, hätte es Ärger gegeben. Und was sollte ich überhaupt sagen, wenn Clarissa dann öffnen würde? Bei Tag und Nacht denk ich an dich, du zauberhafte, kleine Ballerina? An dich und deinen roten Schlüpfer? Kommst du mit in Die glorreichen Sieben? Und wenn ihr Vater öffnen würde? Wurden Italiener nicht fuchsteufelswild, wenn man ihren Töchtern nachstellte? Familienehre? Blutrache und so? Würde ich dann um den heißen Brei herumreden? Guten Tag, Herr Tinotti, ich habe zu Weihnachten eine Gitarre bekommen und hätte jetzt gern Unterricht bei Ihnen? Oder gleich tollkühn aufs Ganze gehen? Guten Tag, Herr Tinotti, ich liebe Ihre Tochter und halte hiermit um ihre Hand an? Vielleicht würde ja auch nur Enzo öffnen. Dann wäre es leicht. Hallo Enzo, war’s schön bei Oma und Opa in Italien? Ja? Ist deine Schwester zu Hause? Nein? Dann zeig mir doch mal, wo ihre Unterwäsche liegt?
    O nononono no! So ging es nicht. Wo mochte Clarissa stecken? Vielleicht sehnte sie sich ja auch genauso heftig nach mir, und aus dieser gemeinsamen Sehnsucht entstand ein telepathischer Kontakt? Wunderbares Mädchen, bald sind wir ein Pärchen. Konnte sie jetzt also meine Gedanken lesen und versteckte sich deshalb vor mir und meinen schmutzigen Phantasien? Pariser Boheme?

Weitere Kostenlose Bücher