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Klack: Roman (German Edition)

Klack: Roman (German Edition)

Titel: Klack: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Modick
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hatte, wie das A in memoria. Das kannte ich aus dem Lateinunterricht. Memoria, ja, Gedächtnis. Oder Erinnerung.
    Beim Aufwachen fiel mein Blick auf die Gitarre. Mit schlankem Hals und üppigen Rundungen lag sie neben meinem Bett wie eine Geliebte. Ich stand auf, strich über ihren glatten Körper, drückte meine Lippen auf die Stelle ihres Halses, die Clarissa berührt hatte, und bettete sie auf mein Kissen. Unter dem Kissen lag das Taschentuch mit den über Nacht getrockneten Spuren meiner Sehnsucht. Ich versteckte es vor meiner Mutter zwischen verschwitzten Sportsachen im Wäschebeutel. Ich nahm die Agfa Clack vom Garderobenhaken und richtete sie auf die Gitarre.
    Klack!

    Im Raucherwinkel des Schulhofs war der Halstuchmörder Tagesgespräch. Zur allgemeinen Verblüffung handelte es sich um den Maler Hopedean alias Dieter Borsche. Mit dem hatte niemand gerechnet – niemand außer Rudi. Der behauptete nämlich, schon vorgestern sei in einer Berliner Zeitung eine Annonce erschienen, gezeichnet von einem angeblichen Genossen Münchhausen, die den Täter verraten hätte.
    »Seit wann liest du denn Berliner Zeitungen, du Angeber?«, fragte Peter ungläubig. »Und wieso hast du das gestern Abend noch nicht gewusst?«
    »Wollte euch den Spaß nicht verderben«, sagte Rudi generös. »Außerdem steht’s heute auch in der BILD.«
    »Heute ist aber zu spät«, sagte Detlef.
    Peter sah mich an. »Warum bist du eigentlich gestern Abend nicht zu uns gekommen?«
    »Ich hab’s mir mit meinen Eltern angeschaut«, log ich. »War erst spät zu Hause und hätte sonst den Anfang verpasst.«
    »Spät zu Hause, ach ja? Wisst ihr, warum Markus erst so spät zu Hause war?« Detlef blickte triumphierend in die Runde. »Weil er der kleinen Spaghettifresserin nachläuft.«
    Mir blieb die Luft weg. Die anderen grinsten.
    »Halt die Fresse, du Arschgeige«, fauchte ich ihn an.
    »Wieso? Stimmt doch, oder nicht?«, höhnte Detlef. »Als mein Vater neulich das Schuhgeschäft abgeschlossen hat, hat er dich gesehen. Du bist mit den Spaghettifressern aus dem Laden gekommen und mit ihnen weggegangen.«
    »Du hältst jetzt das Maul. Und wenn du noch einmal Spaghettifresser sagst –«
    »Spaghettifresser! Markus fickt Spaghetti –«
    Ich drückte ihm die noch glühende Kippe meiner Ernte 23 gegen die Stirn und stieß ihn mit der anderen Hand vor die Brust, dass er zurücktaumelte. Er senkte den Kopf und rammte ihn mir wie ein Stier in den Brustkorb. Wir gingen zu Boden. Er riss an meinen Haaren, ich knallte ihm das angewinkelte Knie in die Eier, er würgte mich am Hals, ich drehte ihm die Ohren um, er kratzte mich im Gesicht, ich schlug ihm die Faust in die Magengrube, und um uns herum hatte sich innerhalb von Sekunden ein johlender Kreis gebildet, der plötzlich verstummte.
    »Was ist denn hier los?«, donnerte Dr. Schwein. »Sofort aufhören!«
    Wir ließen voneinander ab und rappelten uns hoch.
    »Name, Klasse, Klassenlehrer!«, herrschte Dr. Schwein uns an, obwohl er unsere Namen kannte, weil er selbst unser Klassenlehrer war. Aber Name, Klasse, Klassenlehrer war bei ihm ein bedingter Reflex. Vermutlich hatte er im Krieg so ähnlich gebrüllt. Name, Dienstgrad, Vorgesetzter! Wenn Dr. Schwein nach Name, Klasse, Klassenlehrer fragte, folgte unweigerlich ein schriftlicher Tadel im Klassenbuch.
    »Wer hat angefangen?«, fragte er.
    »Der da.« Detlef zeigte auf mich und rieb sich die Brandwunde an der Stirn.
    »Der da.« Ich zeigte auf Detlef und wischte mir das Blut von der geschwollenen Oberlippe.
    »Umso besser«, sagte Dr. Schwein süffisant.

    Wir bekamen beide einen Eintrag ins Klassenbuch und eine schriftliche Benachrichtigung ans Elternhaus, dass wir uns a) geprügelt und b) auf dem Schulgelände geraucht hätten.
    »Und warum hast du dich mit Detlef Harms geprügelt?«, erkundigte sich meine Mutter. »Das ist doch ein Freund von dir.«
    »Er hat mich beleidigt.«
    »Wie denn?«
    »Sag ich nicht.«
    Was sollte ich auch sagen? Dass ich mich für die Ehre Clarissa Tinottis geschlagen hatte wie ein wahrer Kavalier? Für sie gekämpft wie Chico Buchholz um seine Petra? Um sie gerungen wie Fanfan, der Husar, um seine »entzückend zigeunerhafte« (O-Ton Oma) Adeline?
    Mein Vater verkniff sich ein Lächeln. »Lass gut sein. So sind Jungs nun mal.« Und was Beleidigungen unter Männern angehe, müsse er ja nur daran denken, wie er damals an der Ostfront von einem gewissen Oberst zusammengeschissen worden sei, während schon die T-34 vorrückten

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