Klack: Roman (German Edition)
meine, ich bin hier zufällig vorbeigekommen und dachte –«
»Willst du uns helfen?«, fragte Enzo, der ebenfalls einen Zeitungshelm aufhatte.
»Ich –, ja, genau.«
»Das ist aber nett von dir«, sagte Clarissa und kam näher.
Als ich fast schon den Duft ihres Haars zu riechen glaubte, fiel mir ein, dass ich eine furchtbare Bierfahne haben musste, trat einen Schritt zurück, rutschte auf dem Deckel eines Farbeimers aus und fiel vor Clarissa auf die Knie.
Enzo lachte. Clarissa schlug sich die Hand vor den Mund und zog eine Grimasse, um nicht auch lachen zu müssen. »Hast du dir wehgetan?«
»Nein, nein.« Ich rappelte mich auf.
Enzo zeigte auf die Farbflecken auf meinen Knien und lachte noch mehr.
Clarissa sagte zu ihrem Vater etwas auf Italienisch. Er kletterte die Leiter herunter, sah mich skeptisch an, als hätte er durchschaut, dass ich nicht zum Helfen, sondern einzig wegen seiner, mit Rocco Granata gesprochen, »zauberhaften« Tochter gekommen war, und nickte bedächtig. Ja, er könne Hilfe sehr gut gebrauchen, aber heute nicht mehr. Für heute sei nämlich Feierabend. Aber wenn ich morgen kommen wollte oder übermorgen? Arbeit gebe es noch genug. Er deutete auf die Decke und die kahlen Wände, in deren Putz Kabel und Steckdosen offen lagen. »Aber jetzt fine del lavoro.«
Gemeinsam verließen wir den Laden, gemeinsam gingen wir nach Hause. Ich schob mein Fahrrad. Enzo hielt Clarissas Hand. Es sei kalt in Deutschland, sagte Herr Tinotti, viel zu kalt, und vergrub das Kinn in Schal und hochgeschlagenem Mantelkragen. In Apulien sei es tagsüber noch so warm gewesen wie hier manchmal im Sommer nicht.
»Das muss schön sein«, sagte ich.
»Ist auch schön!«, sagte Enzo.
Bei unseren Häusern blieben wir unter der Straßenlaterne stehen, die wie ein Schlagbaum aus Licht den Nebel zerteilte. Wie viel, fragte Herr Tinotti und machte mit Daumen und Zeigefinger die Geste des Geldzählens, ich denn für meine Hilfe haben wolle.
»Nichts«, sagte ich.
»Nichts?«, fragte Clarissa.
Und dann erzählte ich von der Gitarre, die ich zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte. Und ob mir Herr Tinotti, statt mich zu bezahlen, nicht vielleicht ein paar Griffe zeigen könne?
Er lachte, nickte und sagte, dass er mir einen Stundenlohn von drei Akkorden zahlen würde, und gab mir die Hand, und Clarissa lächelte mir zu.
»Um Gottes willen, was hast du denn wieder angestellt?« Meine Mutter deutete kopfschüttelnd auf die Farbflecken an meiner Hose. »Und wie riechst du denn? Sag mal, hast du etwa getrunken?«
»Ein Alsterwasser«, sagte ich. »Nach dem Training.«
»Das wird ja immer toller«, sagte meine Mutter.
»Nun lass mal gut sein«, sagte mein Vater. »Ein Alster ist doch keine Sünde.«
Ich schloss mich im Badezimmer ein, ließ die Wanne volllaufen, zog mich aus und legte mich ins heiße Wasser. Clarissas Haarschlange. Ihre Zähne. Die glänzenden Lippen. Ich war groß und wurde größer. Ich war stark und wurde stärker. Ich umarmte Clarissa, küsste sie, streichelte mit der linken Hand die Schlange und spürte in meiner rechten, wie ich wuchs.
10
Die Gitarre
Nackt, aber noch fast unberührt, liegt sie auf dem Bett. Ihr schlanker Hals teilt das Kissen, ihr Körper glänzt auf dem matten Weiß des Lakens. Du weißt bereits, an welchen Stellen sie zu berühren, zu greifen ist, wie über sie zu streichen ist, um das zu wecken, was in ihr träumt. Es sind deine eigenen Träume. Wie bei einer Acht sind zwei Kreise miteinander verbunden; der obere, kleinere bildet die Brüste, der untere die Hüften; dazwischen das dunkle Loch, geschützt durchs Gitter aus sechs Saiten.
Klack.
Das Foto weiß nichts vom Geruch des Zimmers, der vom Schlaf leicht säuerlich gewesen sein muss, schal wie das winterliche Morgenlicht, und kennt auch nicht den Klang des Körpers, den es zeigt. Das Bild zeigt nur den Gegenstand, die ungeheure Sache, die auf dem Foto immer bleibt, was sie war.
Auch später, noch als Erwachsener, hast du gern, aber nicht gut Gitarre gespielt, hast das Instrument nie beherrscht, sondern bist Amateur geblieben. Ein Liebhaber, kein Liebender. Wenn du fleißiger geübt hättest, könntest du vielleicht besser spielen – aber lernen kannst du es nie wieder. Es gibt nur ein erstes Mal. Die alte Gitarre, die das Foto als deine erste Liebe zeigt, steht immer noch in irgendeiner Ecke, verstaubt, die Decke rissig, und sie hat keine Saiten mehr. Von manchen Dingen kann man sich wohl so wenig trennen wie
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