Klack: Roman (German Edition)
Ohrläppchen. Tut das weh?«
»Nur beim Kauen.«
Die Königin nickte zufrieden. »Parotitis. So, jetzt muss ich mir aber auch mal deinen –«, sie räusperte sich. »Ich meine, zieh mal die Schlafanzughose runter.«
Ich zuckte zusammen. Jetzt würde alles rauskommen. Parotitis musste die Folge hemmungsloser Onanie sein. Ich wusste ja nur allzu genau, dass mein rechter Hoden angeschwollen war und bei jeder Berührung schmerzte. Wahrscheinlich musste man mich jetzt kastrieren. Um mir die Peinlichkeit zu ersparen, stellte sich meine Mutter ans Fenster und schaute in Richtung Mauer. Trotzdem war ich wie gelähmt. Dr. König war zwar Ärztin, aber sie war eine Frau! Unmöglich, vor ihren Augen die Hose runterzulassen, damit sie meine Schande begutachten konnte, meinen fast hühnereigroßen –
Aber da legte die Königin bereits routiniert selber Hand an, lüftete den Gummizug meines Pyjamas, warf einen kompetenten Blick hinter die Kulisse und ließ den Gummizug los, sodass er gegen meinen Bauch klatschte.
»So, so«, nickte sie. »Mumpsorchitis, klinisch apparent.«
»Ist es gefährlich?« Meine Mutter hatte sich wieder umgedreht.
»Eher harmlos«, sagte die Königin. »Klassischer Fall von Mumps. Ziegenpeter. Typische Kinderkrankheit.«
Ziegenpeter? Kinderkrankheit? Ich hatte mich wohl verhört! Warum beleidigte sie mich auch noch, nachdem sie mich mit dem Gummizug schon gedemütigt hatte?
»Strenge Bettruhe. Nur weiche Nahrung. Ich verschreibe ein fiebersenkendes Medikament.« Die Königin strich mir wie einem Baby über die schweißnasse Stirn. »Wird schon werden. Wenn du das überstanden hast, bist du lebenslang immun.«
Immun? Wie meinte sie das? Immun wogegen? Gegen breiige Nahrung? Gegen Mädchen?
Während ich das Bett hütete, brach der Frühsommer mit einer ersten Hitzewelle ins Land. Neiderfüllt stellte ich mir vor, wie meine Freunde jetzt im Freibad herumtobten, die Mädchen nass spritzten, bis sie kreischten, und vor ihnen auf der Liegewiese balzten und strunzten. Ob Clarissa auch ins Freibad ging? Wie sah sie in einem Badeanzug aus? Hatte sie so einen heißen Bikini an wie im Schlager? »Acht, neun, zehn, na was gab’s denn da zu sehen? Es war ihr Itsy Bitsy Teenie Weenie Honolulu Strandbikini, er war schick und er war sehr modern.« Ich schwitzte, wollte mir zwischen die Beine fassen, um meiner Phantasie die Sporen zu geben, aber zwischen meinen Beinen hockte feist und schmerzend der Ziegenpeter. Ja, jetzt, in genau diesem Moment, da ich mir Haferschleim mit zerquetschten Bananen reinwürgen musste, räkelte Clarissa sich irgendwo am Strand. »Der Itsy Bitsy Teenie Weenie Honolulu Strandbikini, ja der gefiel ganz besonders den Herrn.« Und diesem Herrn, diesem geschniegelten Eisverkäufer, der ihr das Ohr geküsst hatte, dem gefiel der Bikini natürlich besonders gut. Vielleicht war das ein Verwandter von ihr, irgendein Vetter aus Dingsda, aus Fasano? Vettern und Cousinen durften ja heiraten. War sie womöglich schon mit dem verlobt? Oder war er womöglich der Wumba-Tumba-Schokoladeneisverkäufer von dem anderen Stern, den Bill Ramsey besang? Mumps war übel, aber was war Mumps verglichen mit verschmähter Liebe, mit der Qual, die mich schüttelte? Mumps war aber auch gut: drei Wochen keine Schule. Sitzenbleiben würde ich dies Jahr sowieso. Der Ziegenpeter war eine Entschuldigung. Der Junge war ja krank.
Aus der Küche fächelte süßer Duft. Holunderbeeren. Meine Mutter kochte Marmelade. Nachschub für den Eichhörnchenvorrat, Proviant für den Weltuntergang. Der 30. Mai war schon vorbeigegangen, und nichts war passiert, aber vielleicht hatte sich der Dichter des Schlagers nur verrechnet? Vielleicht kam der Weltuntergang erst am 30. Juni? Nur noch Kakerlaken und Silberfischchen. Und Ratten. Aber was, wenn Clarissa und ich als einzige menschliche Wesen den Weltuntergang überlebten? Dann waren wir dafür verantwortlich, ein neues Menschengeschlecht hervorzubringen. Zu zeugen. So nannte man das ja wohl. Zeugen, wann immer ich Lust dazu hätte, und Lust würde ich immer haben, und sie würde auch immer Lust haben und ihren Bikini abstreifen und das rote Höschen, das ich noch nie zu Gesicht bekommen hatte. So viele Kinder wie möglich zeugen. Eine neue, friedliche Welt gründen, ohne Mauern, ohne Checkpoints, ohne Bomben, ohne Angst. Der Marmeladenduft trug eine Stimme in meinen Fiebertraum.
Ramona, zum Abschied sag ich dir Goodbye,
Ramona, ein Jahr geht doch so schnell vorbei,
Ramona, denk
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