Klagelied auf einen Dichter
aufhalten. Wäre es möglich, das für mich durchzugeben?
Ich nehme einen Sherry.« Aus der Tasche zog sie einen Zettel und eine Münze.
Ich zweifle nicht, daß wir allesamt das Mädel anstarrten wie ein
Kalb mit zwei Köpfen. Aber sie kümmerte sich gar nicht um uns; sie stand
einfach nur da an der Bar, ein schmales junges Ding, das aber doch etwas
ausgesprochen Energisches hatte, und trank ihren Sherry, während Mistress
Roberts nach hinten zum Telefon ging und ihr Telegramm nach Dunwinnie durchgab.
Nach einer Weile drehte sie sich um und musterte uns mit kurzen, aufmerksamen
Blicken wie etwas, das einen Stern im Baedeker hat. Als Mistress Roberts
zurückkehrte, nahm sie ihr Wechselgeld, bedankte sich kurz, und schon im
nächsten Augenblick war sie aus dem Arms verschwunden. Eine halbe Minute später
hörten wir den Wagen die Straße hinauf davonbrausen, als habe sie nicht vor,
bis Inverness noch einmal auf die Bremse zu treten.
Eine Weile lang schwiegen alle. Wir fanden es alle beängstigend, daß
wir gerade noch von Amerika und Neufundland gesprochen hatten, und im nächsten
Augenblick kam eine waschechte Amerikanerin zur Tür herein – denn daß sie das
war, daran konnte keiner, der je in Dunwinnie im Filmpalast gewesen war,
zweifeln. Mistress Roberts stand wieder hinter der Bar und trocknete ihre
Gläser, und das Funkeln in ihrem Blick war mehr als nur die Genugtuung, daß sie
auch die letzten Spuren der Todsünde Alkohol aus ihnen tilgte. Sie wußte etwas,
was wir nicht wußten, und sie genoß es.
Nicht lange, dann machte Rob einen ersten Versuch. »Das war wohl ein
Telegramm, Mistress Roberts, was das Mädel da aufgegeben hat?«
»Das war es«, antwortete sie und nutzte ansonsten ihren Atem, um
einen Bierkrug anzuhauchen.
»Vielleicht wollte sie ein Quartier für die Nacht bestellen, weiter
die Straße hinauf?«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht, und das geht nur sie selbst
etwas an«, erwiderte Mistress Roberts tugendhaft. Sie hatte nicht vergessen,
was Rob mit Carfraes Gesundheitstrunk getan hatte. Aber man sah ihr doch an,
daß sie fast platzte vor Aufregung; zwei oder drei Minuten lang polierte sie an
dem Glas, als wolle sie dem Teufel den Ruß aus dem Gesicht wischen. »Lieber
Himmel«, sagte sie dann, »ich wäre fast umgefallen, als ich das sah!«
Als nächster unternahm Carfrae einen Anlauf, und wir wußten alle,
daß er eher Aussichten auf Erfolg bei ihr hatte. »Stand denn etwas Schlimmes
drin, Mistress Roberts?«
»Vielleicht ja, vielleicht wieder nein. Wenn die Herren es denn
unbedingt wissen müssen: es war ein Telegramm nach London, und es stand nichts
weiter drin als Hoffe, daß ich bald wichtige Neuigkeiten
habe .«
Will Saunders erhob sich und kam herüber zu mir an die Tür. »Na, ich
kann mir nicht vorstellen«, sagte er, »daß das viel hergibt für das, was
Carfrae müßige und lästerliche Reden nennt.«
»Vielleicht nicht und vielleicht doch. Eins will ich noch sagen. Mr. Bell dürfte sehr interessiert an der Unterschrift sein.« Und damit knallte sie
das letzte ihrer Gläser auf die Theke und wandte sich wieder dem Teetopf zu.
»Der Unterschrift?« fragte ich verblüfft.
»Genau daran, Mr. Bell. Die junge Dame hatte unterschrieben mit
Guthrie.«
VIII.
Nun wäre nur noch das nachzuholen, was unser junger
Schriftsteller in Edinburgh sicher das Zeugnis der Miss Strachan nennt, und
dann komme ich zu Christine – Christine, die er womöglich zur Heldin seines
Buches machen wird. Der Leser wird sich noch erinnern, daß Miss Strachan die
Dorflehrerin ist, die, die eine Abhandlung über visuelle Erziehung verfaßt hat.
Vielleicht kein schlechtes Thema für sie, denn neugierig ist sie von Natur aus,
immer steckt sie ihre spitze Nase in die Angelegenheiten anderer Leute, und ein
scharfes Auge hat sie dazu. Und Neugier war es gewiß auch, was sie, als sie
ihre Tante in Kildoon besuchte, einen Umweg nehmen ließ.
Jedes Wochenende radelt Miss Strachan hinüber zu ihrer Tante, denn
die Alte hat ein Bankkonto, das sie jeder Nichte sympathisch machen muß.
Meistens nimmt sie die Hauptstraße nach Dunwinnie und biegt dann in Thompson’s
Mains ab, von wo es nach Kildoon, das ja nur ein armseliger Weiler ist, noch
zwei oder drei Meilen über die Heide sind. Doch manchmal im Sommer, wenn sie,
wie sie das nennt, die Wanderlust packt, dann fährt sie das Tal hinauf an
Erchany vorüber, und dann geht’s unter großem Geklapper über die Wiesen, bis
sie an einen Pfad kommt, der sie
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